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Eine Person deutet auf ein Blockdiagramm auf einem Bildschirm und spricht dabei mit einer weiteren Person.

Digitale Identitäten: Erste Erkenntnisse aus dem Testbetrieb von BundesIdent

Deutschland bietet mit der Online-Ausweisfunktion des Personalausweises seit Jahren eine der weltweit sichersten Infrastrukturen für Bürger:innen, um sich digital auszuweisen. Aber nach wie vor wird sie nur von wenigen Menschen genutzt. Die vielfältigen Ursachen für die mangelnde Nutzung des Online-Ausweises zu verstehen und entsprechende Lösungsansätze zu identifizieren, war Ziel der ersten Phase unseres Projekts „Digitale Identitäten“ mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI). Die daraus gewonnenen Erkenntnisse haben wir in unserem letzten Blogbeitrag vorgestellt.

Ein zentrales Ergebnis: Die initiale Nutzung des Online-Ausweises ist sehr voraussetzungsvoll und enthält ungewohnte Komponenten – zum Beispiel den Ausweis für den Scan-Vorgang ans Smartphone zu halten und so das Smartphone als Kartenlesegerät zu nutzen. An dieser Stelle bedarf es einer mobilen App, die die Nutzer:innen Schritt für Schritt an die Hand nimmt und intuitiv durch den Identifizierungsvorgang im Zusammenspiel mit dem Ausweisdokument führt. Das ist ein erster Schritt auf dem Weg zu dem erklärten Ziel unseres Projekts: die staatliche digitale Identität zu einer gern genutzten und weit verbreiteten Lösung zu entwickeln und dadurch dazu beizutragen, die Nutzungsraten von Online-Verwaltungsleistungen zu erhöhen.

Eine solche App im Beta-Stadium konnten wir mittlerweile im Rahmen einer realen Anwendung testen. Dieser Beitrag fasst die ersten Erkenntnisse aus dem Live-Betrieb zusammen. Parallel werten wir die Daten noch gründlicher aus, interpretieren sie und treffen auf dieser Basis Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung, die wir in einem folgenden Blogbeitrag teilen.

Ende 2022 ging BundesIdent im Beta-Stadium live

Seit April 2022 haben wir die Beta-Version eines eID-Clients entwickelt, der eine verbesserte User-Experience (UX) insbesondere in der Ersteinrichtung anstrebt: BundesIdent. Die Identitätsdaten des Personalausweises oder anderer geeigneter Ausweisdokumente (z. B. elektronische Aufenthaltstitel und eID-Karten für EU- bzw. EWR-Bürger:innen) können mithilfe der App über die NFC-Schnittstelle des Smartphones ausgelesen und so zur digitalen Identifizierung verwendet werden.

Seit Mitte Oktober 2022 ist BundesIdent in den App-Stores erhältlich. Seit Ende November 2022 ist die App als zusätzliche Option zur Identifizierungs – neben dem Elster-Konto oder einem Freischaltcode per Brief – in den Online-Dienst „Grundsteuererklärung für Privateigentum“ eingebunden. Denn für Datenübermittlungen an Finanzbehörden muss immer die eindeutige Identifikation einer Person sichergestellt werden. Die Einbindung von BundesIdent erfolgte über ein ebenfalls von uns entwickeltes Widget. Dieses wurde so ausgestaltet, dass es die einfache Integration in vielfältige Online-Services ermöglicht und perspektivisch ein einheitliches Nutzungserlebnis bei der digitalen Identifikation bietet.

Ein Blick auf die Zahlen

Bis zum 31. Januar 2023 wurde BundesIdent insgesamt 55.322 Mal in den App-Stores heruntergeladen. Im iOS App Store von Apple waren es 31.390 Downloads, im Google Play Store 23.932 Downloads.

Insgesamt haben sich von Ende November 2022 bis Ende Januar 2023 innerhalb der „Grundsteuererklärung für Privateigentum“ 27.743 Bürger:innen mit BundesIdent identifiziert. Anfangs bewegte sich die Nutzung auf niedrigem Niveau, da die Option der Identifizierung durch BundesIdent zunächst nur Nutzer:innen auf Smartphones angeboten, die Grundsteuererklärung aber mehrheitlich am Computer durchgeführt wurde. Ab dem 3. Januar 2023 schalteten wir BundesIdent auch für Desktop-Nutzer:innen live und ermöglichten somit auch denjenigen, die ihre Grundsteuererklärung am Computer erledigten, sich mit BundesIdent zu identifizieren. Das hatte den erwarteten Effekt auf die Nutzungszahlen: Ab diesem Zeitpunkt stiegen die Identifizierungen mit BundesIdent sprunghaft und kontinuierlich an. Ende Januar war ihr Anteil auf 19,9% gestiegen. Die näher rückende Abgabefrist für die Einreichung der Grundsteuererklärung wird hier allerdings auch eine Rolle gespielt haben.

Eine Grafik zeigt die Anzahl der Ersteinrichtungen der Online-Ausweisfunktion bzw. der Identifizierungen mit BundesIdent im Verlauf des Januar 2023. Beide Linien gehen im Lauf des Monats sprunghaft nach oben.

Grafik zu Identifizierungen und Ersteinrichtungen im Januar.

Die Erfahrungen im Beta-Stadium für die weitere Entwicklung nutzen

Der Testbetrieb im Rahmen des Grundsteuer-Service hat umfangreiches Datenmaterial geliefert, das wir in den letzten Wochen ausgewertet haben. Dabei war vor allem interessant zu erfahren, an welchen Punkten im Identifizierungsprozess Nutzer:innen auf Probleme stießen und gegebenenfalls die Identifizierung abbrachen.

Unsere gesamte Arbeit unterliegt der Prämisse, dass Software und ihre Funktionen niemals „fertig“ sind; deswegen gehen wir beim DigitalService generell sehr früh mit einer ersten Minimalversion (Minimum Viable Product, MVP) in den Produktivbetrieb. So stellen wir sicher, dass wir nicht an den Bedürfnissen und Problemen der Nutzer:innen vorbei entwickeln. Wir aktualisieren und verbessern unser Produkt also kontinuierlich und beziehen dabei Rückmeldungen der Nutzer:innen und Erkenntnisse aus dem laufenden Betrieb mit ein. Dies ist auch unsere Herangehensweise beim ersten Einsatz von BundesIdent. Die Einführung im Oktober 2022 war darum auch bewusst ein Silent Launch.

Von Mitte Oktober 2022 bis Ende Januar 2023 haben wir insgesamt acht Versionen von BundesIdent veröffentlicht und an vielen Stellschrauben gedreht – u. a. haben wir zur besseren Verständlichkeit Layout- und Textänderungen vorgenommen, Fehlermeldungen aussagekräftiger gestaltet, die Barrierefreiheit der App verbessert und Features eingebaut, um Medienbrüche auf ein Minimum zu reduzieren. Dabei geht es oft auch darum, eine gute Balance zwischen größtmöglicher Nutzerfreundlichkeit und den Technischen Richtlinien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu finden, die den Rahmen für die Nutzung der Online-Ausweisfunktion setzen.

Unsere Feedback-Quellen waren neben den insgesamt 95 Reviews in den App-Stores, den insgesamt 713 Support-Anfragen und Rückmeldungen zu unserem auf GitHub veröffentlichten Code bis zum 31. Januar hauptsächlich die Statistiken zur Nutzung der App. Da wir Nutzerreisen aus Datenschutzgründen nicht individuell nachvollziehen können, ist die Interpretation der Daten allerdings nicht immer eindeutig. Insgesamt mangelt es noch an einer aussagekräftigen Datenlage zur Nutzung der Online-Ausweisfunktion in Deutschland. Unser Ansatz ist darum, qualitatives und quantitatives Feedback zu verbinden und auf dieser Basis die nächsten Schritte zu priorisieren.

Unsere Schlussfolgerungen für die kurzfristige Weiterentwicklung von BundesIdent, auf die wir im Folgenden weiter eingehen:

Entwicklung einer Desktop-Verknüpfung, um den Wechsel zwischen Computer und Smartphone nutzerfreundlicher zu gestalten

Detaillierte Schritt für Schritt-Anleitungen, um bestmögliche Orientierung in diesem komplexen Umfeld zu geben

Endgerät-spezifische Animationen zum Auslesen des Ausweises, um hardwarebedingte Hürden für Android-Nutzer:innen zu reduzieren

Wichtig: Die Desktop-Verknüpfung für BundesIdent

Ein erwartbarer Stolperstein aus Nutzersicht war, dass eine für mobile Endgeräte entwickelte App im Testbetrieb auf eine Anwendung traf, die von den meisten Nutzer:innen am Computer verwendet wird. Dies bedeutete den Wechsel vom Desktop zum Smartphone – und potenziell wieder zurück zum Desktop, wenn die Grundsteuererklärung nach erfolgreicher Identifizierung dort weitergeführt werden sollte.

Dieser Vorgang wird nutzerfreundlicher werden, sobald die Desktop-Verknüpfung von BundesIdent existiert. Daran arbeiten wir bereits und sind im Austausch mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), um den Einsatz von BundesIdent in weiteren Anwendungen zu ermöglichen. Hier geht es vor allem darum, keine Angriffsfläche für Phishing-Attacken zu bieten. Für die Zwischenzeit haben wir die Anweisungen in der App in diesem Punkt konkretisiert.

Der aktuelle Verlauf der Identifizierung mit BundesIdent bei „Grundsteuererklärung für Privateigentum“:

Eine Grafik zeigt die aktuell notwendigen einzelnen Gerätewechsel zwischen Laptop und Smartphone bei der Identifizierung mit BundesIdent für die Grundsteuererklärung.

Der angestrebte vereinfachte Verlauf mit Desktop-Verknüpfung:

Eine zweite Grafik zeigt denselben Verlauf in zukünftig vereinfachter Form, bei dem Nutzende direkt von der Website Grundsteuererklärung zu BundesIdent auf dem Smartphone wechseln. Der Schritt über die Website mit der Grundsteuererklärung auf dem Smartphone entfällt, so dass der Ablauf einfacher wird.

Überforderung der Nutzer:innen durch komplexe Abläufe

Das komplexe Zusammenspiel zwischen den weiteren beteiligten Institutionen und Services im Umfeld der digitalen Identifizierung war für viele Nutzer:innen verwirrend. So war es schwer zu vermitteln, dass die Einrichtung der Online-Ausweisfunktion ausschließlich vom Ausweis abhängig und nicht an ein Gerät oder eine App gebunden ist. Wer die Online-Ausweisfunktion beispielsweise bereits in der AusweisApp2 aktiviert hat, muss den Ausweis in BundesIdent nicht neu einrichten. Falls der Ausweis bisher noch nicht online genutzt wurde, kann er direkt in BundesIdent mit der Transport-PIN aus dem PIN-Brief aktiviert werden, den alle Bürger:innen bei Ausstellung ihres Ausweisdokuments erhalten. Auch die verschiedenen PIN-Varianten – Transport-PIN, persönliche Ausweis-PIN, PUK und CAN – und ihre jeweiligen Einsatzmöglichkeiten sorgten häufig für Missverständnisse.

Hier haben wir gegengesteuert, indem wir den Nutzungsflow in der App selbst sowie auf „Grundsteuererklärung für Privateigentum“ detailliert beschrieben und angepasst haben. Zudem fragen wir mittlerweile in einem Zwischenschritt ab, ob die Online-Funktion des Ausweises bereits zu einem früheren Zeitpunkt aktiviert wurde. Aktuell arbeiten wir daran, diese Abfrage durch andere Formulierungen und visuelle Hervorhebungen noch eindeutiger zu gestalten.

Hardwarebedingt können Android-User am Auslesen des Ausweises scheitern

Unsere Daten zeigen: Android-User hatten gehäuft Probleme mit dem Auslesen des Ausweises, da der NFC-Sensor in ihren Smartphones an unterschiedlichen Positionen verbaut ist. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Apple-Geräten, bei denen er sich immer an derselben Stelle befindet. Wir rechneten also damit, dass dieser Schritt für Android-Nutzer:innen potenziell eine Herausforderung darstellen würde – auch, weil die Animation in der App für beide Betriebssysteme identisch ist und auf die Position der NFC-Schnittstelle bei iOS-Geräten optimiert ist. Nachdem wir nun um die Häufigkeit des Problems wissen, arbeiten wir mit hoher Priorität daran, eine spezifische Animation zum Auslesen des Ausweises für Android-Geräte zu erstellen und einzubinden.

Zusätzlich zu den Arbeiten an der App selbst haben wir kontinuierlich den Hilfebereich zu BundesIdent in „Grundsteuererklärung für Privateigentum“ erweitert und differenziert. Im Januar haben wir die entsprechenden FAQs und Anleitungen zudem auf der Info-Page bundesident.de separat online gestellt, um in Online-Suchen direkt gefunden zu werden. In der App selbst haben wir einen Feedback-Kanal eingerichtet und im App Store explizit darauf hingewiesen, dass BundesIdent aktuell nur für die Grundsteuererklärung verwendet werden kann, um Missverständnissen und Frustrationen möglichst vorzubeugen. Diese waren einer der Hauptgründe für negatives Feedback in den beiden App-Stores.

Eine Person hat auf einem aufgeklappten Laptop die Website von „Grundsteuererklärung für Privateigentum

Fazit – und wie es weitergeht

Mit dem Ablauf der offiziellen Frist für die Abgabe der Grundsteuererklärung endet in absehbarer Zeit auch der erste Einsatz von BundesIdent in einer konkreten Anwendung. Aus diesem Testbetrieb haben wir viele Erkenntnisse gewonnen, die uns sehr dabei helfen, unser Produkt nutzerzentriert weiterzuentwickeln.

Dass im ersten Anwendungsfall nicht alles rund läuft und es auch negative Rückmeldungen gibt, wird bei einem MVP im Interesse eines besseren Endprodukts grundsätzlich in Kauf genommen. Das problembezogene Feedback, das wir über Support-Anfragen oder die App-Stores erhielten, beträgt im Verhältnis zu den durchgeführten Identifikationen knapp 3%. Das ist eine Quote, mit der wir ausgesprochen zufrieden sind.

Aktuell sind wir in Gesprächen mit anderen Diensteanbietern – insbesondere aus dem Verwaltungskontext –, um BundesIdent in weitere Online-Services zu integrieren und die App kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dabei werden wir unser Tracking zur Nutzung der App schärfen, um eine noch aussagekräftigere Datenbasis für die weitere Priorisierung und Entwicklung zu erhalten. Eine wichtige Rolle werden auch A/B-Tests spielen, bei denen wir unterschiedliche Varianten des Widgets und der App parallel einsetzen. Anhand der jeweiligen Reaktionen der Nutzer:innen können wir dann die intuitiv zugänglichste Version definieren.


Portrait Foto der Autorin Anna Sinell

Dr. Anna Sinell

verstärkt seit Januar 2022 das Team des DigitalService als Product Lead. Ihr ganzes „Berufsleben“ hat sie sich damit beschäftigt, die Nutzerperspektive in Innovationsprozessen zu stärken: zunächst in der Forschung bei Fraunhofer, dann bei der Google Zukunftswerkstatt und zuletzt im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Ins Ministerium ist sie durch das Work4Germany Fellowship gekommen und blieb dann statt sechs Monaten eineinhalb Jahre. Früher war Feldhockey ihre Freizeitbeschäftigung – jetzt sind es ihre drei Kinder, die sie auf Trab halten.

Portrait Foto der Autorin Simone Kilian

Simone Kilian

ist seit Mitte 2022 Product Managerin beim DigitalService, wo ihr Augenmerk vor allem auf der konsequenten Orientierung an User-Insights liegt. Zuvor beschäftigte sie sich bereits in unterschiedlichen Branchen mit der Digitalisierung von Unternehmen – im Mittelstand ebenso wie in der Münchner Start-up-Szene. Seit sie 2021 Fellow bei Tech4Germany war, schlägt ihr Herz für die Verwaltungsdigitalisierung. In ihrer Freizeit richtet die ehemalige fränkische Weinprinzessin gerne Weinproben im Freundeskreis aus, macht eine Ausbildung zur Yogalehrerin und widmet sich nach Aufenthalten in Japan, Thailand und Kanada auch weiterhin dem internationalen Austausch.