Interview mit Geschäftsführer Philipp
Philipp Möser ist seit Oktober 2020 gemeinsam mit Christina Lang Geschäftsführer beim DigitalService. Zuvor hat er das Spieleunternehmen Wooga gegründet und über 10 Jahre aufgebaut. In seiner Freizeit findet man Philipp beim Kitesurfen, Wandern oder beim Erkunden der Berliner Restaurantszene.
Phillipp, seit Oktober 2020 bist Du Geschäftsführer beim DigitalService. Was hat Dich von der Idee so überzeugt, dass Du dafür Deine Auszeit nach dem Verkauf von Wooga aufgegeben hast?
Die Antwort hat ganz verschiedene Ebenen! Ich finde die Mission des DigitalServices auf gesellschaftlicher Ebene unglaublich wichtig. Es ist absolut entscheidend, dass der Staat den Bürger:innen gut funktionierende Produkte anbieten kann. Ich glaube, es braucht eine gute digitale Grundversorgung, um das Vertrauen in staatliche Dienste wieder mehr zu stärken.
Auf persönlicher Ebene hat mich Politik schon immer interessiert, insbesondere die Kombination von Politik und Software-Entwicklung fand ich spannend. Der DigitalService hat eine Person mit Erfahrung im Aufbau von Software-Entwicklungsteams gesucht. Durch die Gründung von Wooga hatte ich Erfahrung darin, schnell und nachhaltig Unternehmensstrukturen zu etablieren, die auch in der Skalierung funktionieren. Alles zusammen genommen eine perfekte Aufgabe.
Was ist Deine Rolle als Managing Director?
Der DigitalService hat ja zwei Bereiche: Programme und Produktteams, die dauerhafte Software-Entwicklung machen. Ich verantworte die Bereiche Entwicklung, Design, Produkt und Personal. Meine Verantwortung ist es, diese Produktteams aufzubauen und Themen in die Umsetzung zu bringen. Das Thema Umsetzung zieht sich bei mir als roter Faden durch.
Mit welcher Mission seid Ihr angetreten? Was ist Euer Leistungsversprechen?
Ich bin begeistert von unserer Mission: Digitale Lösungen mit der Verwaltung zu entwickeln, die die Bedürfnisse von Bürger:innen in den Mittelpunkt stellen und besser für alle funktionieren. Unter digitalen Lösungen verstehen wir echte Software-Produkte. Zusammen MIT der Verwaltung heißt: Wir sehen uns hier wirklich als Partner. Wir sind inhaltlich und methodisch verantwortlich für die Themen und Projekte, die wir angehen. Wir sind relativ kompromisslos darin, was für Projekte wir wirklich machen. Wir stellen uns Fragen: Warum braucht es das? Was wollen die Nutzer:innen? Ist das wirklich der beste Weg, die Lösung zu finden? Wir bringen uns aktiv ein in die Vision und Strategie der Produkte, die wir entwickeln.
Welche neuen Aspekte bringt Ihr in die Verwaltung ein?
Die Verwaltung denkt traditionell sehr schnell in Lösungen. In Lastenheften ist sehr konkret ausformuliert, was genau wie umgesetzt werden sollte. Aus meiner Sicht funktioniert erfolgreiche Software-Entwicklung so, dass man einem autonomen Team ein Problem gibt. Das Team arbeitet sich dann Schritt für Schritt an das Problem heran. In der Interaktion mit den Nutzer:innen entsteht durch Feedback und Lernen in der Iteration dann die Lösung. Das Team braucht Autonomie, um im Prozess herauszufinden, mit welcher Lösung sich das jeweilige Problem am besten lösen lässt. Wir gehen vom Problem aus und nähern uns dann iterativ der bestmöglichen Lösung. Diesen methodischen Ansatz vertreten wir auch gegenüber der Verwaltung.
Dabei spielt Design eine wesentliche Rolle…
Ja. Allein dadurch, dass die Denk- und Arbeitsweise von Designer:innen in die Verwaltung gebracht wird, schafft das aus meiner Sicht einen echten Mehrwert.
Wie erlebst Du Eure Unternehmenskultur im Kontrast zu der Verwaltungskultur?
Wir sind eine agile Organisation, die sehr people-centric arbeitet. Menschen haben bei uns viel Verantwortung, auch, eigene Entscheidungen zu treffen. Meine Erfahrung ist, dass Menschen über drei Themen motiviert sind: Autonomy, Mastery und Purpose. Entsprechend versuchen wir, unsere Organisation zu gestalten. Das ist auch ein bisschen die Start-up-Idee: Menschen sollen bei uns die Möglichkeit haben, möglichst autonom ihre Arbeit zu gestalten, sich weiterzuentwickeln, Neues zu lernen und Impact zu erzielen. Die Verwaltung denkt da anders. Klar gibt es auch hier viele Menschen, die unglaublich motiviert sind. Doch strukturell ist die Verwaltung prozessgetrieben. Hier hat der Mensch eine konkrete Funktion und eine spezifische Aufgabe zu erfüllen, die klar umrissen ist. Zum Beispiel: Du musst dieses Formular in diesen Arbeitsschritten abarbeiten. Da geht es nicht um Mastery oder Purpose oder Autonomy. Die Fragen, die ich aufgeworfen habe, sind in der DNA von Bürokratie (noch) nicht angelegt.
Wie helft Ihr der Verwaltung, eine bessere digitale Leistung anzubieten und einen Mehrwert für Bürger:innen zu schaffen?
Ich denke da relativ stark vom Ergebnis aus. Wenn wir uns zum Beispiel das Projekt Steuerlotse anschauen: Das ist eine Website, auf der Rentner:innen ihre Steuererklärung abgeben können. Relativ einfach. Aus meiner Sicht einfacher als alles, was die Verwaltung bisher angeboten hat. Unsere Auswahlkriterien sind sehr stark getrieben vom Impact, den wir erreichen können. Wir wollen Produkte entwickeln, die die Interaktion von Mensch und Verwaltung wirklich leichter machen. Hier arbeiten wir an unglaublich spannenden Themen…
Zum Beispiel?
Wir arbeiten aktuell an der elektronischen Identität. Wie weise ich mich aus? Wenn es eins gibt, was ein Staat bereitstellen sollte, dann ist das Identität. Warum wird das bislang so wenig genutzt? Jeder Personalausweis ist inzwischen onlinefähig. Durch den eingebauten elektronischen Chip ist er nutzbar für die elektronische Identität. Doch das nutzt aktuell kaum jemand. Wenn man es nutzt, ist das sehr mühsam und macht keinen Spaß. Es ist unser Anspruch, dass das besser wird.
Ein weiteres spannendes Projekt ist das Rechtsinformationsportal NeuRIS. Hier geht es darum, alle Rechtsinformationen Deutschlands auf einer Plattform zu bündeln und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Das ist das wichtige Thema Open Data. Die Grundidee: Daten, die dem Staat und damit den Bürger:innnen, also uns allen gehören, sollten auch wirklich allen offenstehen. Zu den zentralen staatlichen Daten zählen Gesetze, Urteile und Verordnungen. Aktuell gibt es diese Informationen zwar öffentlich, aber man kann noch nicht zentral darauf zugreifen. Das wollen wir ändern. Wir wollen diese Daten in eine Schnittstelle bringen, so dass Bürger:innen, NGOs und Start-ups hier umfassend informiert sind und auf diesen Daten ggf. etwas aufbauen können.
Für welche Werte steht Eure Organisation?
Transparenz und Offenheit sind unsere Kernwerte. Wir sind transparent nach innen und nach außen. Unsere Philosophie: Du bekommst von uns alle Informationen, außer die, für die es einen expliziten Grund gibt, dass Du sie nicht bekommen solltest. Menschen brauchen Informationen, um gute Entscheidungen treffen und gut arbeiten zu können. Wir wollen alles, was wir veröffentlichen, als Open Source veröffentlichen. Integrität ist uns ebenso wichtig wie Konsistenz bei der Projekt- und Personalauswahl. Wir sind eine Organisation, die auch eine gewisse Bescheidenheit lebt. Show, don’t tell: Wir wollen mit unseren Ergebnissen überzeugen und uns daran messen lassen.
Wie würdest Du den Spirit beim DigitalService beschreiben?
Mir macht die Arbeit hier unglaublich viel Spaß. Unsere Teamkultur ist sehr positiv. Wir arbeiten viel und gerne und unterstützen uns gegenseitig. Das gesamte Team ist sehr stark missionsgetrieben. Wir denken in Chancen. Dabei stecken wir uns große Ziele und versuchen, wirklich neue Wege zu gehen und Bestehendes zu hinterfragen. Bei Problemen helfen wir uns. Und ganz wichtig: Wir respektieren uns in unseren jeweiligen Rollen und wissen den Wert unterschiedlicher Perspektiven und Kompetenzen zu schätzen.
Was hättest Du gerne früher gewusst?
Die größte Herausforderung sind Prozesse. Und die sind manchmal noch komplexer als gedacht. Selbst wenn ich mir von Anfang an bewusst war, dass es komplex ist: Es ist nochmal komplexer.
Ich weiß aber nicht, ob ich mit der Information viel hätte anfangen können, hätte mir das jemand vorher gesagt. Was ich definitiv gerne früher gewusst hätte: Da kommt eine Pandemie.
Was zeichnet eine lernende Organisation aus? Oder anders gefragt: Wie kommt das Neue in Eure Organisation?
Das sind tatsächlich viele kleine Dinge. Es fängt damit an, dass wir beim Recruiting nach Menschen suchen, die uns ergänzen, die Fähigkeiten mitbringen und Perspektiven einbringen, die wir noch nicht haben. Dazu zählen ebenfalls regelmäßige Austauschformate, in denen Wissen intern weitergegeben wird. Wichtig ist hier auch die offene Fehlerkultur, die wir uns intern sehr wichtig ist.
Stichwort Fehlerkultur: Wie geht Ihr beim DigitalService mit Fehlern um?
Ich komme ja aus einer Spielefirma. Von rund 20 Spielen, die wir entwickelt haben, sind etwa 19 gescheitert. Das war nicht immer leicht. Aber Scheitern haben wir als Lernerfahrung verstanden. Das ist mir nach wie vor auch in unserem internen Umgang beim DigitalService sehr wichtig. Aus Fehlern können wir lernen und uns weiterentwickeln.
Was wolltest Du als Kind werden?
Es gab am Flughafen Leute, die mit Fahrrädern auf dem Rollfeld rumfahren, das fand ich so toll, das wollte ich auch machen. Als ich ein bisschen älter wurde, wollte ich Astronaut werden. Eigentlich will ich das immer noch…
Du bist dann zunächst nicht Astronaut geworden, sondern hast an der Universität Karlsruhe Wirtschaftsingenieurwesen studiert und zwischendrin über Erasmus Zeit in Barcelona verbracht…
Karlsruhe war eine tolle Stadt zum Studieren. Die ersten 2 Jahre habe ich fast Vollzeit Unipolitik durch Gremienarbeit aktiv mitgestaltet. Ich wollte Dinge bewegen. Für mich ist Gestaltung immer auch Umsetzung: Strategy is delivery. Mir hat es zum Beispiel unglaublich viel Spaß gemacht, aus Karlsruhe für eine Demo 30 Busse zu organisieren, die alle voll waren und in Kolonne nach Bonn tuckerten, damit Menschen dann dort demonstrieren konnten. Oder wir haben Unifeste mit 10.000 Leuten organisiert…
Wie ging es nach dem Studium weiter?
Gegen Ende meines Studiums habe ich ein Praktikum bei Jamba in Berlin gemacht. Die Firma hat mich dann gebeten, gleich dazubleiben, so dass ich mein Diplom erst 7 Jahre später gemacht habe. Das traf sich auch gut, denn ich wollte eh nach Berlin. Nachdem ich in Barcelona Großstadt gefühlt und erlebt hatte, habe ich mich in Karlsruhe irgendwie nicht mehr wohlgefühlt. Ich hatte Lust auf die große, weite Stadt.
2001 bist Du nach Berlin gezogen. Erzähl doch mal, was war das für ein Berlin, in das Du da reingekommen bist…
Die Start-up-Welt gab es natürlich noch nicht. Jamba war eine der ersten Organisationen, die das Ganze mit gestartet hat. Es war auch immer noch eine Zeit der Umbrüche. Es gab viele Untergrund-Partys in irgendwelchen Kellern und Abbruchhäusern oder Techno-Partys in Katakomben und Brauereien.
O ja, das war keine schlechte Zeit… Wie erinnerst Du Dich an die Zeit bei Jamba?
Als ich zu Jamba gekommen bin, waren dort so 60 bis 70 Leute. Drei Jahre später waren es 800. Schnell hatte ich Verantwortung für ein Team von 80 Leuten. Was natürlich für die Erfahrung, die ich hatte, zu viel war und zu schnell. Das war Hyper Scaling in Reinform. Das war für uns alle ein kollektiver Lern- und Wachstumsprozess. Ich war verantwortlich für das technische Produktmanagement. Eine nachhaltige Lernkultur war nicht wirklich in der DNA der Organisation angelegt. Das Ganze war sehr delivery- und ergebnisgetrieben und auf schnelle Skalierung ausgelegt.
Wie wurdest Du dann einer der ersten Mitarbeiter bei Rocket Internet?
Ich bin bei Jamba raus, um endlich meine Diplomarbeit zu schreiben. Dann rief mich Oliver Samwer an: Er würde etwas Neues aufbauen, einen Inkubator für verschiedene Organisationen und da müsse ich mitmachen. Und das klang dann so spannend, dass ich mir dachte: Die Diplomarbeit muss jetzt eben nochmal warten. Das Angebot nehme ich an.
So habe ich die ersten zwei Jahre Rocket Internet mit aufgebaut und mich dort um die Tech Teams gekümmert. Dann habe ich aber relativ schnell gemerkt, dass der Beratungsansatz nicht so meins ist. Ich brauche mehr und tiefere Identifikation mit den Themen, die ich bearbeite. Und so habe ich dann tatsächlich meine Diplomarbeit zum Thema „Agile Software-Entwicklungsmethoden“ geschrieben und bin jetzt Diplom-Ingenieur.
Dann hast Du Wooga gegründet…
Genau. Wir waren drei Gründer. 2009: Das war die Zeit, als Facebook noch nicht das dominante Social Network war. Alle Plattformen öffneten sich gerade erst für Spiele. Wir haben uns auf Spiele auf Social Networks spezialisiert, ein riesiger Wachstumsmarkt – und das ist natürlich nicht ganz uninteressant, wenn Du etwas gründest. Das Ganze hat sehr gut funktioniert und ist ziemlich schnell groß und erfolgreich geworden. Durch die Markteinführung und Verbreitung des iPhones wurde das Ganze mit App Ecosystems nochmal auf das nächste Level gehoben.
Wann wusstest Du: Zeit weiterzuziehen?
Ich glaube, man muss sich immer fragen: Habe ich Lust, das Thema fünf Jahre weiterzumachen? Das ist für mich die Commitment-Frage. Wenn ich die Frage mit nein beantworte, ist die Sache für mich klar. Wooga hat sich vom Start-up zum größten Spielehersteller Europas gewandelt. Spieleentwicklung mit Game Design, Grafik, Producing etc. ist ein spannendes Feld und für viele eine attraktive Karriereoption. Aber: Ich bin kein Game Developer. Ich bin jemand, der am Aufbau von Organisationen und der Organisationsgestaltung Spaß hat. Meine Entscheidung hat schon auch damit zu tun gehabt, dass wir Wooga bewusst verkauft haben und dadurch die unternehmerische Freiheit eingeschränkter war.
Wie ging’s dann weiter?
Dann habe ich erstmal ein bisschen Pause gemacht und Kitesurfen gelernt. Ich war überall unterwegs, wo Wind ist. Hauptsächlich am Atlantik, Kanaren, Kapverden, Marokko, Brasilien…
Der beste Ratschlag?
Das ganze Leben ist ein sehr agiler, iterativer Prozess. Für wenige Probleme gibt es einfache, eindeutige, schnelle Lösungen. Du musst dich Problemen immer iterativ nähern, sie langsam einkreisen und Schritt für Schritt lösen. Das gilt auch für die persönliche Entwicklung. Das ist wahrscheinlich meine bislang wichtigste Lebens- und Arbeitserkenntnis.