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Hier steht Tomie zusammen mit zwei anderen Personen auf der Dachterrasse beim Tech4Germany Auftakt-Event. Einer der Personen ist Tomies Dolmetscher. Der Dolmetscher hilft Tomie in der unterhaltung mit der dritten Person. Tomie hat ein rotes Hemd an, er schaut interessiert in Richtung der der Kamera vorbei.

Kommunikation ist mehr als gesprochene Lautsprache – drei Erfahrungsberichte

Wie die Zusammenarbeit mit einer tauben Person im Team funktionieren kann

Die Arbeit in interdisziplinären Teams ist einer der Kernbestandteile bei Tech4Germany und dem DigitalService insgesamt. Wir sind der festen Überzeugung, dass eine Vielfalt an Fähigkeiten und Erfahrungen zu besseren Prozessen und Ergebnissen führt.

Als sich Tomie (Thomas) im vergangenen Jahr als erster tauber Fellow bei Tech4Germany beworben hat, wurde genau dieser Anspruch mit der Realität konfrontiert. Er war als Design Fellow im Team Nachhaltigkeitsmessung in Förderprogrammen beim Auswärtigen Amt. In diesem Blogbeitrag berichten Tomie, seine Teamkollegin Anna sowie Michi, Projektkoordinatorin bei Tech4Germany, über erwartete und unerwartete Herausforderungen, die sie auf ihrer dreimonatigen Reise angetroffen haben. Wie kann eine Zusammenarbeit funktionieren, auf was sollten wir als Fellowship-Team zukünftig achten und was hätten wir gerne vorher gewusst?

Bewerbung und Vorbereitung

Tomie
Ich wurde als Tauber in einer tauben Familie geboren. Deutsche Gebärdensprache ist meine Muttersprache. Bis zu meinem 22. Lebensjahr habe ich meine Zeit fast ausschließlich in der tauben Community verbracht. Im Schulsystem von Gehörlosenschule bis zum Gymnasium für Hörbehinderte waren meine Erfahrungen mit Hörenden beschränkt auf wenige Interaktionen mit Nachbarskindern. „Taub“ ist meine präferierte Selbstbezeichnung, denn ich fühle mich der Tauben-Community und der Taubenkultur mit einer eigenständigen Gebärdensprache zugehörig. Bei diesen Begriffen handelt es sich um einen Ausdruck der kulturellen Identität, sie finden in der Taubengemeinschaft Verbreitung, unabhängig vom medizinischen Grad der Hörfähigkeit. Die Begriffe „Gehörlos“ oder „Gehörlosigkeit“ sind hingegen eher defizitorientiert, da die Endung „-los“ auf etwas Fehlendes hinweist.

Mit dem Schritt zu studieren, bin ich ins kalte Wasser gesprungen und erlebte in Folge Kulturkonflikte und Missverständnisse in der Welt der Hörenden. Ich habe schlussendlich meinen Studiengang gewechselt und meinen Abschluss in Interfacedesign an der Fachhochschule Potsdam gemacht. Heute bin ich UX/UI-Designer mit besonderem Interesse an barrierefreiem Design sowie der Gestaltung von Dienstleistungen und Prozessen der öffentlichen Verwaltung – sogenanntem Public Service Design.

Es ist eine Rote Wand abgebildet. Mit Stecknadeln ist ein Blattpapier in Querformat daran befästigt. Das Blatt ist ein Fellowshipverlaufsplan aus dem Jahr 2022. Es ist schematisch der Ablauf eines Fellowships bei Tech4Germany abgebildet.

Michi
Bei der Durchsicht der Bewerbungen überzeugten uns Tomies Lebenslauf, Portfolio und seine Antworten direkt. Er erwähnte in seinen Unterlagen bereits, dass er taub sei. Unser Anspruch, interdisziplinär, inklusiv und divers zu arbeiten, wurde schnell mit Fragen der Realität konfrontiert: Wie kann das Bewerbungsgespräch überhaupt stattfinden? Wie stellen wir Teilhabe während des Fellowships sicher? Und können wir uns das kapazitär und finanziell überhaupt leisten?

Parallel zu diesen organisatorischen Fragen machte sich im Team vermehrt Unsicherheit breit. Keiner von uns hatte bis dahin Erfahrung in der Zusammenarbeit mit einer tauben Person. Das nötige Wissen müssten wir uns erst aneignen.

Wir entschieden uns für den direkten Schritt nach vorn, erklärten Tomie per E-Mail unseren eigentlichen Bewerbungsprozess und fragten ihn, wie wir unsere Bewerbungsgespräche für ihn am besten möglich machen könnten. Uns war schnell klar, dass es Unterstützung von Dolmetscher:innen bedürfen würde. Wir unterbreiteten ihm deshalb auch den Vorschlag, dass wir Termine zusammenlegen und vor Ort stattfinden lassen könnten, statt wie sonst zwei digitale Gespräche zu führen.

Tomie ist uns proaktiv zuvorgekommen. Er hat schnell klargestellt, was es für eine Teilnahme am Fellowship braucht. Wir konnten außerdem Termine für beide Bewerbungsgespräche finden. Vor Ort und am selben Tag, damit Dolmetscher:innen eingeladen werden können. Hier lernten wir direkt, dass es bei Terminen, die länger als eine Stunde dauern, immer zweier Dolmetscher:innen bedarf. Die Dolmetscher:innen und Tomie sollten zudem möglichst nicht vom Licht geblendet werden, um einen reibungslosen Ablauf sicherzustellen. Die Suche nach Übersetzer:innen gestaltete sich aber schwieriger als zuvor angenommen, trotz Tomies Erfahrung und tatkräftiger Unterstützung. Nach den Interviews stand für uns dann fest: Tomie passt als Kandidat perfekt auf unsere Anforderungen und wir wollen ihn bei Tech4Germany 2022 unbedingt dabei haben!

Wie wir das gesamte Fellowship für ihn gut umsetzen könnten, mussten wir jedoch noch im Detail herausfinden. Zum Beispiel ist unser Fellowship als dreimonatiges Stipendium keine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit. Finanzielle Förderung beim Einsatz von Dolmetscher:innen ist aber nur für solche Tätigkeiten bestimmt, beispielsweise vom Inklusionsamt oder der Agentur für Arbeit. Gebärdensprachdolmetscher:innen sind sehr gefragt und oft Monate im Voraus ausgebucht. Uns wurde im Suchprozess schließlich klar, dass wir Tomie keine Dolmetscher:innen für das gesamte Fellowship würden bereitstellen können.

Das nächste Meeting lief komplett schriftlich und in völliger Stille über die Untertitelfunktion von Google Meet. Vor dem Termin waren wir aufgeregt. Tomie reagierte sehr verständnisvoll. Wir stellten Tomie unsere aktuellen Hindernisse und mögliche Lösungen vor. Darunter fielen feste Fellowship-Termine, für die wir Dolmetscher:innen besorgen würden, ein Stundenkontingent mit Dolmetscher:innen, das wir individuell gemeinsam während des Fellowships abfragen könnten oder die Nutzung von Google Meet mit Untertitelfunktion in allen Meetings. Er zeigte uns darüber hinaus selbst Möglichkeiten auf, wie wir mit Hilfe digitaler Dokumente, Whiteboards, Videotools oder dem Einsatz von Apps auch ohne Dolmetscher:innen Wege der Kommunikation finden könnten. Tomies Pragmatismus und seine positive Einstellung gaben uns eine ganze Menge Motivation. Wir freuten uns, dass er trotz der Herausforderung zusagte.

Das Fellowship startet

Anna
Vor dem Fellowship-Start gab es ein erstes virtuelles Meeting mit allen Fellows und zwei Gebärdensprachdolmetscher:innen. Ich war sofort interessiert, weil ich schon lange mit dem Gedanken gespielt habe, deutsche Gebärdensprache zu lernen. Als ich dann erfahren habe, dass ich mit Tomie in einem Projektteam sein würde, habe ich mich richtig gefreut. Auf der einen Seite war ich natürlich aufgeregt, etwas falsch zu machen, gleichzeitig war ich aber auch super gespannt auf die Erfahrung. Meine Intention war es deshalb, von Anfang an vor allem neugierig zu sein, Fragen zu stellen, offen zu sein und zu lernen.

Tomie
Ich war gespannt und ein bisschen unsicher, wie mein Team mit mir umgehen würde, da ich ihnen erst einen Tag vor diesem Treffen per Nachricht offenbart habe, dass ich taub bin. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihnen mit der kurzfristigen Information nur wenig Raum zur mentalen Vorbereitung gegeben hatte. Weder zu früh noch zu spät wollte ich meine Taubheit zum Thema machen, gerne hätte ich genau den richtigen Zeitpunkt getroffen – am Ende gibt es den aber irgendwie nie. Als wir uns dann zum ersten Mal über Google Meet trafen, empfand ich sofort Sympathie gegenüber meinen Teammitgliedern Sundus, Friedrich und Anna.

Bei digitalen Meetings benutze ich Closed Captions (CC) für die Transkription von Lautsprache und antworte per Chat-Funktion. Im Gespräch haben wir uns einander vorgestellt; ich habe von meinem Leben in der Tauben-Community und meinen Erfahrungen in der Hörenden-Welt erzählt und wir sprachen über unsere beruflichen Hintergründe. Ich habe auch gleich erwähnt, dass Selbstbewusstsein auf allen Seiten nötig ist, um die Angst vor kommunikativer Blamage zu überwinden und anzusprechen. Dabei helfen kann eine Kommunikations-Guideline, die ich mit meinen Teammitgliedern teilte. Wichtige Punkte waren dabei zum Beispiel, vor jeder Interaktion Augenkontakt herzustellen.

Als Closed Captions bezeichnet man genaue Transkriptionen eines Dialogs, bei denen jedes gesprochene Wort mitgelesen werden kann. Im Vergleich dazu sind herkömmliche Untertitel oft etwas freier formuliert, da diese beispielsweise von einem Drehbuch übernommen oder aus einer anderen Sprache übersetzt wurden. Dies führt dazu, dass das Gesagte und die Untertitel zwar sinngleich sind, sich aber von den gehörten und gelesenen Wörtern unterscheiden können.

Anna
Später gab es dann ein persönliches Treffen. Wir hatten alle unsere Handys dabei und eine spezielle App heruntergeladen, die gesprochene Inhalte in Text übersetzt und ein Text-Eingabefeld zum Tippen hat. Schon bei der ersten Interaktion hat sich meine Perspektive und mein Selbstverständnis als Hörende sofort verändert, weil ich begonnen habe, mir vorzustellen, wie die Welt für Tomie ist. Tomie hat uns außerdem gleich erste Gebärden beigebracht und uns ermutigt, Kommunikation weiter zu denken als Lautsprache.

Die Onboarding-Woche

Michi
Wir hatten Glück und waren sehr froh, dass wir für die komplette Onboarding-Woche Dolmetscher:innen organisieren konnten. Dadurch konnte sich Tomie möglichst unbeschwert auf die Inhalte konzentrieren und die Kontaktaufnahme mit Projektpartner:innen, Fellows und unserem Team wurde erleichtert. Anders als zuvor, versuchten wir in unseren Präsentationen grundsätzlich mit mehr Text zu arbeiten; uns wurde bei der Auswahl von interaktiven Formaten oder Warm-ups klar, wie oft wir mit Geräuschen oder sehr schnellen Interaktionen in Gruppen arbeiten und haben versucht, unsere Formate diesbezüglich anzupassen.

Hier ist eine Rote Wand zu sehen. An der Wand ist eine Vielzahl von Zetteln mit Stecknadeln befästigt. Die Zettel behandeln die verschiedensten ansetze zur effektiven Arbeit in einem Team.

Eine effektive Kommunikation mit Hilfe verschiedener Medien war auch ausschlaggebend für die erfolgreiche Integration von Tomie in unser Tech4Germany Fellowship.

Tomie
Ich ging mit einem gewissen Unbehagen in die Woche. In meiner Erfahrung werden Hörende aufmerksamer, neugieriger und zugleich unsicherer in der Interaktion mit Tauben, weil sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Ich wusste auch, dass ich vorerst Schwierigkeiten haben würde, alle richtig kennenzulernen, da alle Hörenden für mich im ersten Moment gleich scheinen und die Differenzierung zunächst schwierig ist. Die Namensschilder, die wir in den ersten Tagen im Programm getragen haben, haben mir sehr geholfen, die Teilnehmer:innen zu unterscheiden und sie auch als Persönlichkeiten kennenzulernen.

Nach der Onboarding-Woche begann die Zusammenarbeit im Fellow-Team – ohne Dolmetscher:innen, die mich in der ersten Woche noch unterstützt hatten. Zusammen mit meinen hörenden Kolleg:innen wurde schnell klar: Kommunikation ist mehr als Lautsprache. Wir haben angefangen, durch das Zeigen eines Bildes oder eines Videos, durch Zeichnen und Gestikulieren, Verweisen mit Fingerzeig oder auch durch kollaborative Zusammenarbeit in digitalen Tools miteinander zu interagieren. Unser Favorit: ein kollaboratives Google Doc mit Live-Synchronisation zu nutzen, in dem alle gleichzeitig den Text bearbeiten können. Die hörenden Teammitglieder haben die Google „Speech-to-Text“-Funktion genutzt. Außerdem haben wir häufig Kommentare und Emojis verwendet, um die Interaktion weiter anzureichern. In den drei Monaten der Zusammenarbeit entstanden so fast 2000 Seiten Fließtext.

Projektarbeit: Reden ist nicht Schreiben

Anna
Bei der Transkription meiner Redebeiträge wurde mir schnell klar: Ich rede zu viel, zu unstrukturiert und zu unklar. Aus dem transkribierten Fließtext konnte ich selbst im Nachhinein häufig nicht mehr die komplexen Zusammenhänge verstehen und nachvollziehen. Eine wichtige Erkenntnis diesbezüglich war für mich auch, wie groß die Diskrepanz ist, zwei Zeilen Text zu schreiben oder zwei Zeilen Text zu sprechen. Die Geschwindigkeit der Lautsprache ist außerdem höher als die Lesegeschwindigkeit, sodass das „Nachlesen“ in regen Diskussionen ein verzögertes Verständnis bedeutet. Das hat es zweifelsohne auch schwer gemacht, in „real-time“ Verständnisfragen zu stellen.

Wir haben aber zumindest gelernt, wie wir den Fließtext besser strukturieren können, um gleichberechtigte Beteiligung und ein gleiches Verständnis zu ermöglichen. Zum Beispiel haben wir Hörenden begonnen, mit Satzzeichen zu sprechen. Außerdem versuchten wir, doppelte Redebeiträge und Monologe zu reduzieren und präzise zu formulieren.

Ich war eigentlich schockiert, dass es keine technisch besseren Lösungen gibt, um die Kommunikation zwischen hörenden und tauben Menschen einfacher und barrierefreier zu gestalten. Die Transkription von unterschiedlichen Diensten hat auch unterschiedlich gut funktioniert. Wir hörenden Teammitglieder haben ständig Fließtext-Transkriptionen nachgebessert.

Tomie
In den ersten Wochen im Projekt wurde deutlich, wie viele Inhalte in der Transkription verloren gehen – vor allem, weil die gesprochene Sprache viele Emotionen vermittelt. Mir war es besonders wichtig, Vertrauen im Team aufzubauen, um unsere Kommunikation vertiefen und verbessern zu können. Dafür musste ich mich öffnen, über meine Hindernisse sprechen und nach Hilfe fragen. Nur so konnte das Team mich unterstützen, und wir konnten effektiv arbeiten. Das fiel mir anfangs nicht leicht, aber es hat sich auf jeden Fall ausgezahlt. Im Laufe der Zeit habe ich immer mehr gespürt, dass mein Team auch viel von mir profitiert und sensibler sowie bewusster geworden ist. Diese Erfahrung zeigt, wie wichtig es ist, Kolleg:innen aufzuklären und sich zu öffnen.

Michi
Während des Fellowship haben wir uns mit Tomie regelmäßig über den aktuellen Verfügbarkeitsstatus von Dolmetscher:innen ausgetauscht. Leider haben wir am Ende nur für circa die Hälfte der Termine Dolmetscher:innen finden können. Für Tomie und sein Team erschwerte das wiederum die Zusammenarbeit und auch den Austausch mit den Projektpartner:innen sehr. Wann immer möglich, versuchten wir, Termine mit Google Meet, der Closed-Captions-Funktion und digitalen Whiteboards umzusetzen. Hier mussten wir darauf achten, dass die Vortragenden gebrieft sind und dass sie sich bemühten, langsam und deutlich zu sprechen. Tomies Team und auch andere Fellows waren uns dabei eine große Hilfe, weil sie versucht haben, selbst immer wieder auf das „Einhalten der Kommunikationswege“ aufmerksam zu machen. Tomies Fellow-Team hat sich großartig mit der Kommunikation intern auseinandergesetzt und beeindruckende Möglichkeiten auch ohne Dolmetscher:innen gefunden. Dennoch mussten wir leider im Laufe des Fellowship-Zeitraums feststellen, dass wir uns das ein oder andere Mal überschätzt hatten und dem Thema oft nicht genug Raum gegeben haben.

Auf dem Bild stehen mehrere Menchen um einen Bildschirm. CIO Markus Richter bekommt etwas erklärt. Tomie steht in der Mitte des Bildes. Er nutzt eine Software auf seinem Handy um das gesporchene in Textform zu wandeln. Im Hintergrund sind eine Vielzahl von Zetteln zu sehen, diese sind an Wänden aus Glas befästigt.

Beim Besuch von CIO Markus Richter nutzt Tomie unter anderem eine App, die Gesprochenes in Textform darstellt, um der Diskussion folgen zu können.

Fazit

Anna
Ich durfte eine Menge durch die Zusammenarbeit mit Tomie bei Tech4Germany lernen. Besonders hat mir geholfen, dass Tomie mir die Taubenkultur immer wieder erklärt hat, offen für meine Fragen war und mir Feedback zu meinem Verhalten gegeben hat. Denn ich habe mich tatsächlich manchmal unbewusst diskriminierend verhalten und für meine Ignoranz und Unsensibilität habe ich mich dann häufig im Nachhinein geschämt.

Sehr deutlich wurde für mich auch, dass strukturell und gesellschaftlich noch viel passieren muss, um wirkliche Barrierefreiheit zu gewährleisten und Diskriminierung konsequent zu unterbinden.

Ich habe gelernt, dass Taube in der Arbeitswelt Rechte haben, um auf Ressourcen zuzugreifen, die die Ungerechtigkeit und den ungleichen Zugang zur Welt reduzieren sollen. Zum Beispiel besteht unter gewissen, sehr eingeschränkten Bedingungen ein Anspruch auf Unterstützung durch Dolmetscher:innen und Arbeitsassistenz (z. B. Protokollator:innen, Schreibassistenz). Diese strengen Bedingungen schließen aber Programme wie Tech4Germany (Stichwort: Stipendienprogramm) leider aus. Tomie musste deshalb durch persönlichen Einsatz von Zeit, Energie und Nerven Ungleichheiten auffangen. Diese zusätzlichen und persönlichen Anstrengungen, die für ihn entstanden sind, weil das System nicht besser auf die Bedürfnisse von Menschen mit (Hör-)Behinderungen ausgerichtet ist, macht mich aus meiner privilegierten Position als Hörende beklommen.

Michi
Rückblickend kann ich sagen, dass ich diese Erfahrung auf gar keinen Fall missen möchte! Wir haben als Team sehr viel gelernt und möchten auch weiter dazu lernen, um unseren Arbeitsplatz, das Fellowship und die Zusammenarbeit so divers und inklusiv wie möglich gestalten zu können.

Gleichzeitig hatten wir aber auch zu wenig Wissen und Kapazitäten, um die Teilnahme wirklich für alle Beteiligten gleichberechtigt anzubieten. Um Diversität in unserem Fellowship ehrlich ermöglichen zu können, müssen wir uns gezielter mit dem Thema auseinandersetzen und auch bereits im Vorfeld bewusster machen, welche Hürden es für einzelne Fellows geben könnte. Für andere Herausforderungen, die wir selbst mit mehr Vorbereitungen nicht ändern können, möchten wir Aufmerksamkeit schaffen. Dazu gehören zum Beispiel die fehlenden Förderungen von tauben Personen in Stipendienprogrammen wie dem Tech4Germany Fellowship.

Zusätzlich möchte ich perspektivisch mutiger sein, meine Unwissenheit und Unsicherheit anzusprechen. Wir standen uns vielleicht genau durch diese Mischung aus Scham und Unwissenheit oft selbst im Weg. Eine proaktive Auseinandersetzung und gemeinsames Lernen durch erfahrene Expert:innen hätten die gemeinsame Zusammenarbeit erleichtert. Vermutlich hätte es auch den Druck von Tomie genommen, selbst permanent Aufklärungsarbeit leisten zu müssen.

Ich bin sehr dankbar, dass Tomie unserem Team, den Fellows und den Projektpartner:innen einen Einblick in das Leben von tauben Menschen gewährt hat. Ich bin überrascht, wie schwer es einem selbst fällt, umzudenken, inklusiv zu handeln und mitzudenken.

Tomie
Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich am Tech4Germany Fellowship teilnehmen durfte. Ich bin überzeugt, dass die gemeinsame Arbeit für alle Beteiligten eine wichtige Lernerfahrung war und Verständnis geschaffen hat. Gemeinsam haben wir das Fellowship gut gemeistert.

Es gab natürlich auch viele Momente und Situationen, die für mich nicht einfach waren. Ich bin es gewöhnt, dass sich einfach über mich hinweggesetzt wird und ich häufig Hörenden das Feld überlasse. Vorherrschende Auffassung ist immer noch, dass die Gesellschaft hörzentrisch sein sollte und deshalb taube Kinder sprechen und mit Hilfe von Technologie hören lernen sollten, um sich der Mehrheitsgesellschaft anpassen zu können. Hörende Lehrer unterrichten nicht in meiner Muttersprache, der Deutschen Gebärdensprache, sondern Deutsche Lautsprache mit Gebärdenunterstützung. Dies führt noch heute zu einer innerlichen Spannung in mir, denn mittlerweile bin ich in einem Umfeld und einer Haltung angekommen, bei der ich mich gegenüber hörenden Kollege:innen emanzipieren und auch mein Recht selbstbewusst durchsetzen möchte.

Small Talk ist für mich aber trotzdem eine Herausforderung, denn er ist eine der wichtigsten Komponenten des sozialen Kontakts. Wenn Kolleg:innen miteinander scherzen und sie zusammen lachen, wächst die Bindung unbewusst. Zwar haben wir fast immer über ein Transkript kommuniziert, allerdings gab es häufig genug Situationen, in denen sich die anderen spontan eine Anekdote in Lautsprache erzählt haben. Trotz aller guten Intentionen und Iterationen gab es dadurch viele Momente wie solche Small-Talk-Situationen, in denen ich mich ausgeschlossen gefühlt habe. Sobald es schnell gehen musste oder es zu spontanen Interaktionen mit Fremden kam, wurde das Transkribieren schwieriger. Ich verlor dann oft den Zusammenhang und konnte nicht mehr folgen. Fremde, die zum ersten Mal mit mir interagieren, müssen ständig an eine gewisse Transkriptions-Disziplin erinnert werden. Für mich ist es gerade in solchen Situationen hilfreich, hörende „Verbündete“ im Team zu haben, die sich für Transkriptions-Disziplin und gleiche Beteiligung einsetzen, damit ich nicht ständig ein Einzelkämpfer sein muss.

Auch im Design-Prozess gab es verschiedene Hürden. Eine Herausforderung war es zum Beispiel, bei Usability-Tests mit hörenden Nutzer:innen gleichberechtigt teilzunehmen und beizutragen. In solchen Situationen habe ich mich dann eher zurückgezogen und den Hörenden das Feld überlassen, statt direkt auf hörende Fremde zuzugehen. Dabei habe ich persönlich die Chance verpasst, gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit Nutzer:innen zu testen und so alternative Kommunikationswege ausprobieren zu können.

Im Laufe des Projektes hat sich auch meine Design-Haltung als Tauber weiter geschärft, vor allem durch Gespräche mit Mentor:innen. Im Austausch wurde mir bewusst, dass die Gesellschaft und ihre Gestaltung immer noch audistisch, also diskriminierend gegenüber tauben und schwerhörigen Personen, geprägt sind und deshalb von mir als Designer erwartet wird, mich diesen Mustern anzupassen. Ich möchte als tauber Designer deswegen proaktiv, engagiert und bewusst Hörende sensibilisieren, um dadurch insgesamt eine bessere Repräsentanz, Balance und Gleichberechtigung in der Gesellschaft zu erreichen.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um meine Lebenserfahrung, zu der jetzt auch Tech4Germany zählt, zu teilen. Auf meiner Reise habe ich viele Erfahrungen gesammelt und mich persönlich entwickelt. Dieser Wandel dauert noch immer an. Nichtsdestotrotz, identifiziere ich mich nicht mehr als „Opfer der behindertenfeindlichen Gesellschaft“, sondern als proaktive Person mit einem breiten Spektrum an Kompetenzen, die etwas bewegen kann.


Eine junge Frau lacht in die Kamera; sie trägt ein schwarzes Oberteil und ihre Haare sind zu einem Zopf gebunden; sie steht vor einer grauen Wand; das Portrait ist in Schwarz-Weiß abgebildet.

Anna Rojan

ist Ingenieurin, Innovatorin und Impulsgeberin. Bevor sie als Tech4Germany Product Fellow im Team Nachhaltigkeitsmessung in Förderprogrammen beim Auswärtigen Amt war, hat sie in der Audi Denkwerkstatt als Venture Developerin nachhaltige und digitale Geschäftsmodelle entwickelt sowie ein Start-up für physisches und mentales Wohlbefinden als Gründerin vorangetrieben. Wenn sie in ihrer Freizeit nicht gerade mit ihrem Dackel-Welpen und ihrer Freundin Zeit verbringt, begeistert sie sich für Positive Psychology, Female Empowerment und Nachhaltigkeit.

Thomie steht auf einer Wiese. Im Hintergrund sind kleinere Wälder zu erkennen. Die Wolken am Himmel sind durch die Sonnenstrahlen leicht rosa gefärbrt. Tomie hat eine schwarze Capie auf und Lacht in die Kamera.

Thomas Miebach

ist UX/UI-Designer mit besonderer Expertise in Inclusive Design. Er wurde als Tauber in einer tauben Familie geboren. Deutsche Gebärdensprache ist seine Muttersprache. Er hat Interfacedesign an der Fachhochschule Potsdam studiert und arbeitet seitdem freiberuflich vor allem im Bereich Digital-Media-Design und UX/UI-Design. Im März 2023 beginnt er als UX Consultant eine neue Stelle bei der Deutschen Bahn. Außerdem interessiert er sich zunehmend für Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Innovation, Transformation oder New Work.

Michaela steht vor einer weißen Wand. Auf dem Portait Bild lacht Sie in die Kamera. Michaela hat eine Kette um den Hals und trägt ein Blaues Oberteil. Ihre Haare sind auf dem Kopf zu einem Dutt gebunden.

Michaela Putzer

ist Projektkoordinatorin bei Tech4Germany und wie in ihrer vorherigen Position bei openmind Allrounderin und für die operative Planung und den Überblick über Gesamtprozesse sowie Abläufe zuständig. Durch ihren Background in Eventmanagement, hat sie auch das kleinste Detail noch im Blick. Michaela gehört zu den 1% der Weltbevölkerung, die zwei unterschiedliche Augenfarben haben.