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bunte runde Papierzettel mit Ideen für die Plattformgestaltung

RKI und Dataport übernehmen: Wir verab­schieden uns von Agora

Die Coronapandemie hat 2020 die Grenzen der teilweise noch analogen Abläufe in unserem Gesundheitssystem aufgezeigt. Die knapp 400 Gesundheitsämter in Deutschland besitzen oft keine einheitliche Organisation und Struktur; demzufolge gab es vor der Pandemie wenig Austausch, unterschiedliche Software und uneinheitliche Prozesse – mit negativen Auswirkungen nicht zuletzt für die Bürger:innen.

Agora – der zentrale Versammlungs- und Marktplatz im antiken Griechenland – schien uns daher der richtige Name für die gemeinsam mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) entwickelte Kollaborationsplattform für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Sie ermöglicht seit Mai 2021 Mitarbeiter:innen des ÖGD, sich untereinander besser auszutauschen, zusammenzuarbeiten und Wissen gemeinsam über den gesamten Öffentlichen Gesundheitsdienst hinweg aufzubereiten.

Agora war unser erstes Projekt und entstand in einer sehr frühen Phase des DigitalService, als unsere Rolle als zentrale Digitalisierungseinheit des Bundes noch nicht so klar ausdefiniert war. Heute fokussieren wir uns auf Projekte an der Schnittstelle Staat-Bürger:in, wie zum Beispiel die „Grundsteuererklärung für Privateigentum“. Ende 2022 haben wir Agora als verwaltungsinterne Plattform daher abgegeben. Das Projekt wird fortan vom Robert Koch-Institut und von Dataport als IT-Dienstleister weitergeführt. Für uns der ideale Zeitpunkt für einen Blick zurück.

Ausgangspunkt: Der Öffentliche Gesundheitsdienst muss digitaler werden

Vor der Pandemie vernetzten sich Gesundheitsämter vor allem aufgrund ihrer geographischen Lage, zum Beispiel Gesundheitsämter in Großstädten mit denen in kleineren benachbarten Kommunen. Der bundes- und landesweite Austausch zwischen Gesundheitsämtern war im Wesentlichen auf (Telefon-)Konferenzen beschränkt.
Mit Corona setzten die ersten größeren Veränderungen ein. Es entstanden einige Initiativen, die sich einen übergreifenden Austausch zum Ziel gesetzt hatten. Hinzu kamen neue bzw. weiterentwickelte IT-Systeme und Prozesse, die die Bearbeitung der hohen Fallzahlen erleichtern sollten.

Standrechner mit Browseransicht der Agora-Plattform und Telefon in einem Büro

Im November 2020 beauftragte uns das Bundesministerium für Gesundheit mit der Bedarfserhebung zu einer digitalen Kollaborationsplattform. Ziel war von Anfang an, eine Möglichkeit zum Wissensaustausch zu schaffen und damit die Zusammenarbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst intern, regional wie auch länderübergreifend zu vereinfachen. Die Mitarbeiter:innen im ÖGD sollten so bei bestehenden und zukünftigen Herausforderungen stärker voneinander lernen und sich gegenseitig besser unterstützen können. Die Nutzung für die Gesundheitsämter sollte kostenfrei und optional sowie unabhängig von ihrer sehr heterogenen IT-Ausstattung sein.

Als Zielgruppe wurden die Mitarbeiter:innen in Gesundheitsämtern und Organisationen des ÖGD wie das Robert Koch-Institut, die Landesgesundheitsämter sowie die Landesministerien definiert. Im Zeitraum von November bis Dezember 2020 führte unser Projektteam über 70 Interviews mit unterschiedlichen Stakeholdern: kommunale Gesundheitsämter, Landesgesundheitsämter, Städte und Landkreise, Robert Koch-Institut, kommunale Spitzenverbände und die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen. Das Ziel der jeweils einstündigen Gespräche war es, die größten Herausforderungen, Bedürfnisse und Potenziale hinsichtlich der übergreifenden Kommunikation und des Wissensmanagements aufzuzeigen.

Was benötigt der Öffentliche Gesundheitsdienst?

Diese sehr ausführliche Recherche zu den Bedarfen der Nutzer:innen ergab, dass folgende Elemente für sie wichtig waren:

  • Kontaktsuche
  • Zusammenarbeit in einer Arbeitsgruppe
  • Videotelefonie in einer kleinen Gruppe
  • Kommunikation über einen Chat
  • Teilen von Dateien, insbesondere die Veröffentlichung von Informationen für den ÖGD
  • Recherche von Informationen und ein Austausch über ein Forum

Darauf basierend wurde ein Zielbild entwickelt, wie eine Kollaborationsplattform für den ÖGD aussehen soll und welche Funktionalitäten diese mitbringen muss, um für die Beteiligten vor Ort einen deutlichen Mehrwert zu schaffen. Unsere Erkenntnis nach der Bedarfserhebung:

Übergreifende Vernetzung
Gesundheitsämter befinden sich regelmäßig in einem fallbasierten Austausch. Zeitgleich sind die Strukturen und Prozesse teilweise sehr unterschiedlich und Verantwortlichkeiten und Kontaktinformationen nicht unmittelbar zugänglich und erkennbar.

Wissenssammlung
In der operativen Arbeit entstehen in den Gesundheitsämtern viele Erkenntnisse, Materialien und Best Practices. Für das organisationsübergreifende Teilen dieser Erfahrungen gibt es bisher weitgehend informelle und ehrenamtliche Strukturen.

Interoperabilität und Standards
Die IT-Landschaft und Datenhaltung im ÖGD sind vielfältig – mit unterschiedlichen Datenmodellen, Standards und Schnittstellen. Eine Kollaborationsplattform muss daher mit unterschiedlichster technischer Ausstattung erreichbar und bedienbar sein.

Die Plattform zur Vernetzung und Zusammenarbeit nimmt Konturen an

Im Rahmen der Recherche zeigte sich auch, dass die Mehrheit der Akteure im Öffentlichen Gesundheitsdienst vor vergleichbaren Herausforderungen stehen. Durch die Rechercheergebnisse konnten wir fünf grundlegende Funktionsanforderungen ermitteln:

Dateien-Austausch
Eine Funktion des Dateien-Teilens, bei der Lese- und Schreibrechte eingestellt werden können. Dokumente können auch mit Nutzer:innen ohne Agora Account geteilt und mit einem Passwort geschützt werden.

Forum
Geschlossene und offene Gruppen können Dokumente teilen, die dadurch auch schneller wieder aufzufinden sind. Ein möglicher Einsatz wären lokal kooperierende Amtsleiter:innen sowie amtsübergreifende Netzwerke für Expert:innen.

Messenger
Ein Messenger bietet eine amtsübergreifende interne Kommunikation an. Einzel- und Gruppenchats ermöglichen eine einfache Absprache.

ÖGD-Adressbuch
In einem Adressbuch, bei dem Kontakte dezentral verwaltet werden, können Funktionspostfächer (etwa vom RKI) und auch rollenspezifische Ansprechpartner:innen hinterlegt werden.

Wissensdatenbank
Ein übergreifendes Wiki, um Wissen zentral, amtsübergreifend und themenbezogen zu teilen. Der Austausch von Erfahrungsberichten, Dokumenten, Flussdiagrammen sowie Inhalten von anderen Organisationen im ÖGD wird ermöglicht.

Schnelle Lösung auf Basis bestehender Komponenten

Um Agora möglichst schnell zur Verfügung zu stellen, haben wir uns entschieden, auf existierende Software aufzubauen. Unsere primären Kriterien bei der Auswahl einer dafür passenden Software zielten auf eine schnelle Systemeinrichtung, ein bundeseinheitliches Hosting und eine nutzerfreundliche Software-Oberfläche ab. Zudem wollten wir möglichst eine Open-Source-Software einsetzen. Wichtig war für das Projektteam auch, wie gut wir die Software in bestehende Systeme integrieren können und wie aufwändig es ist, diese später anzupassen.

Wir entschieden uns für die modulare Open-Source-Software Nextcloud, die bereits viele der Funktionsanforderungen abdeckte und stetig weiterentwickelt wird. Um den relevanten Funktionsumfang zur Pilotphase bereitstellen zu können, wurde Nextcloud um weitere Open-Source-Lösungen ergänzt. Ein MediaWiki ermöglicht es etwa, kollaborativ Wissen zu erarbeiten, zu organisieren und zu publizieren. Als Identitäts- und Zugangs-Management-Lösung wurde Keycloak verwendet. Es ermöglicht die Verwaltung der Nutzer:innen inklusive ihrer Rollen und Rechte. Ein weiteres Tool ist Collabora für die Erstellung und Bearbeitung von Dokumenten und Dateien. Nutzer:innen von Agora können so kollaborativ an den Datensätzen arbeiten. Zudem bietet die Applikation Discourse den Nutzer:innen eine Diskussionsplattform. In Foren können Themen durch die Community geteilt und besprochen werden.

Schulung von Mitarbeitenden an einem Laptop in einem Büro

Vom Piloten in den Regelbetrieb

Die ermittelten Anforderungen wurden im Rahmen einer Pilotphase getestet. Anhand von kontinuierlichem Feedback, etwa aus den Agora Support-Kanälen oder von ÖGD-bezogenen digitalen Veranstaltungen, wurden die konkreten Anforderungen weiterentwickelt und ergänzt.

In der Entscheidung für Nextcloud als Kernstück der Agora Software-Lösung wurden die Prinzipien Privacy by Design und Privacy by Default für hohe Datenschutzanforderungen berücksichtigt. Das bedeutet, dass die Privatsphäre von Nutzer:innen von Anfang an mitgedacht wird und Standardeinstellungen von Privatsphäre-Optionen so datenschutzfreundlich wie möglich sind. Strenge Sicherheitsanforderungen waren somit entscheidend für die Wahl von Nextcloud als Dateisynchronisierungs- und Freigabelösung.

Die Kombination bestehender Komponenten zahlte sich aus. In Zusammenarbeit mit dem BMG konnten wir nach nur sieben Monaten im Mai 2021 die Kollaborationsplattform Agora als Minimum Viable Product (MVP) zur Verfügung stellen. Ein inter­disziplinäres Projektteam, bestehend aus vier Personen aus den Disziplinen UX/UI-Design, Software-Entwicklung und Produktmanagement, setzte die Webanwendung um. Agora kann unabhängig von der heterogenen IT-Ausstattung eingeführt und im Browser genutzt werden. Das technische Hosting der Plattform selbst erfolgte durch ITZBund.

Die daraus resultierende einfache Inbetriebnahme von Agora war bereits in der Pilotphase ein Vorteil und wurde für den gesamten Rollout beibehalten. So konnten bis heute über 80 Prozent der Gesundheitsämter für die Nutzung der Plattform gewonnen werden.

Der ältere Kollege stand kurz vor der Rente und hat sich partout quergestellt, Agora zu nutzen. Später meinte er, er müsse mir noch etwas sagen: Auch wenn er sich damals gesträubt habe, könne er sich die Arbeit ohne Agora heute nicht mehr vorstellen.

(Mitarbeiterin eines Gesundheitsamtes)

Nach dem Launch des MVP begann die Phase der Pilotierung mit der Auswertung von Nutzerfeedback sowie der Vorbereitung für eine langfristige Weiterentwicklung. Das Robert Koch-Institut war von Anfang an als Projektpartner beteiligt und hat die Pilotierung begleitet, um eine Übernahme der Lösung bei Akzeptanz durch die Gesundheitsämter zu ermöglichen. Wir freuen uns, Agora jetzt an das RKI und Dataport erfolgreich übergeben zu haben und dass die Plattform weiter betrieben und entwickelt werden kann.


Portrait Foto des Autors José Ernesto Rodríguez

José Ernesto Rodríguez

startete nach dem Tech4Germany Fellowship im Sommer 2020 als erster UX/UI Designer beim DigitalService und baute Agora als Kollaborationsplattform für den Öffentlichen Gesundheitsdienst mit auf. Danach unterstützte er das BundesIdent Team dabei, die Online-Ausweisfunktion sowohl für Nutzende als auch für Anbieter attraktiver zu gestalten. Aktuell ist er Teil des Team NeuRIS. Er setzt sich für verantwortungsbewusste und schöne Dienstleistungen ein, von denen möglichst viele Menschen profitieren. Ansonsten spielt er unheimlich gerne Brettspiele, Halo und Volleyball.

Porträtfoto der Autorin Carolin Bednarz

Carolin Bednarz

war von November 2020 bis Dezember 2023 Produktmanagerin beim DigitalService und eine der ersten 15 Mitarbeiter:innen. Davor nahm sie als Product Fellow beim Tech4Germany Fellowship teil und sammelte bereits Berufserfahrungen im Bereich Digital Transformation & Strategy bei der Commerzbank sowie als Mitgründerin der Start@BlueFactory Berlin. Ihre Batterien lädt sie bei Ausflügen im VW-Bus mit ihrem Partner wieder auf.