Aktuelles Beispiel für digitaltaugliche Regelungen: das Stromsteuerrecht
Digitaltaugliche Regelungsgestaltung kann Hebel sein für ein wichtiges Ziel moderner Gesetzgebung: Prozesse durch Digitalisierung zu vereinfachen und Bürokratieaufwand abzubauen. Musterbeispiel für eine solche digitaltaugliche Regelung ist das „Gesetz zur Modernisierung und zum Bürokratieabbau im Strom- und Energiesteuerrecht“. Es hat die Ambition, Kosten zu sparen, schafft die Rahmenbedingungen für verbesserte digitale Anträge, macht gesammelte Daten nutzbar und ermöglicht einen schlanken Vollzug. Unternehmen werden so die von der Politik versprochenen Entlastungen im Rahmen des Strompreispakets voraussichtlich schneller in Anspruch nehmen können. Dafür erfüllt das Gesetz aktuell zentrale Aspekte der Digitaltauglichkeit. Das für die Ausarbeitung zuständige Referat im Bundesministerium der Finanzen (BMF) tat sich mit einem kleinen, interdisziplinären Digitalcheck Team des DigitalService zusammen, um gemeinsam sämtliche Methoden und Werkzeuge des Digitalcheck zum Einsatz zu bringen.
Vorab zum Gesetz:
Vorrangiges Ziel ist die Modernisierung des Strom- und Energiesteuerrechts. Das passiert vor allem durch Bürokratieabbau und Anpassungen an moderne Entwicklungen im Rahmen der E-Mobilität und in Versorgungskonzepten mit erneuerbaren Energien. Den ausführlichen Gesetzestext gibt es hier.
Innerhalb von drei Wochen haben BMF und DigitalService den Teil der Regelungen, der sich mit der Umsetzung des Strompreispakets im Stromsteuerrecht beschäftigt, gemeinsam bearbeitet. Das DigitalService Team brachte Expertise in den Bereichen Produktmanagement, Engineering und Design ein. Das gemeinsame Ziel: unterstützen, ein digitaltaugliches Gesetz zu erarbeiten und nebenbei den Legist:innen die methodische Kompetenz vermitteln, das hier erlernte Vorgehen in kommenden Regelungsvorhaben immer wieder anwenden zu können. Der Blogbeitrag zeigt, wie wir dabei konkret vorgegangen sind.
Erster Schritt: User-Research – vor Ort
Bevor das Gesetz wirklich geschrieben wird, müssen wir wissen, wem es dient und wer in die Umsetzung involviert ist. Im Fall des Stromsteuerrechts werden die Generalzolldirektion (GZD) und damit in erster Linie die in Deutschland verteilten Hauptzollämter (HZÄ) die neue Regelung umsetzen.
Darum haben wir uns in die Ämter begeben – mit dem Ziel, den Verarbeitungsablauf eingehender Anträge vor Ort zu verstehen. Innerhalb der Ämter haben wir acht Experteninterviews mit allen involvierten Personen geführt: von der Poststelle über die Sachbearbeiter:innen bis hin zur Team- und Zollamtsleitung. Wir haben die Beamt:innen in ihrem Arbeitsalltag beobachtet und gemeinsam Anforderungen, häufige Fehlerquellen in den Anträgen, Fachverfahren, Excel-Hilfestellungen und die Software-Landschaft betrachtet.
Aus diesen Maßnahmen ist das notwendige Verständnis für den Antragsprozess sowie die Bearbeitungsstrecke bei uns entstanden. Durch die Gespräche war es auch möglich „indirekt“ die Bedarfe der antragstellenden Unternehmen kennenzulernen, da Sachbearbeiter:innen zum Teil einzelne Bereiche schon über viele Jahre betreuten.
Diese Nutzungsrecherche haben wir gemeinsam mit zwei Legisten des Gesetzgebungsreferats im BMF durchgeführt. Das hat Übersetzungsarbeit erspart. Die Erkenntnisse aus dem Tag bereiteten wir in zwei Visualisierungen auf: einer „IT-Systemlandkarte“ mit den bestehenden und zukünftigen Fachverfahren und eine „Hürdenübersicht“ entlang des Antragsprozesses. Außerdem halfen uns die Erkenntnisse, bereits bestehende Herausforderungsübersichten der Generalzolldirektion und des BMF besser einschätzen zu können.
Digitalisierung soll für starke Entlastung sorgen
Eine zentrale Erkenntnis aus der User-Research: Die Mitarbeitenden in den HZÄ halten das jetzige System unter viel Einsatz am Laufen. Bisher gehen die meisten Anträge in Papierform mehrfach und fehlerhaft ein – das führt zu einer Vielzahl an manuellen Schritten, die zeitintensiv und nicht prüfrelevant sind. Da die HZÄ durch die Anpassungen des § 9b des StromStG mit einer Vervielfachung des Antragsvolumens von 33 000 auf bis zu 660 000 Fällen rechnen, braucht es eine starke Entlastung der Beamt:innen durch digitale Möglichkeiten, nicht nur eine „Elektrifizierung“ des Prozesses.
Durch die Research konnten wir früh reagieren und eine Verbesserung in der Digitalisierung der Anträge bestimmen: Es soll jetzt eine Online-Antragspflicht eingeführt werden – und zwar schon zwei Jahre früher als ursprünglich geplant. Die neuen (bis zu 660 000) Fälle können dann direkt digital weiterverarbeitet werden, die Mitarbeitenden müssen ihre Zeit nicht mehr damit verbringen, ausgefüllte Papieranträge abzuschreiben. Darüber hinaus können schrittweise repetitive Prüfschritte automatisiert werden. So gewinnen die Mitarbeitenden noch mehr Zeit für die wichtige Prüfarbeit. Ohne diese Maßnahmen wäre die Bearbeitung der Fälle in angemessenem Zeitraum gar nicht möglich – die HZÄ wären völlig überlastet.
Hier wird deutlich, wie die frühe Berücksichtigung der digitalen Umsetzung im Ergebnis zu einer Lösung führt, die eine starke Entlastung darstellen kann. Sie wurde nur möglich gemacht, weil die HZÄ früh mit in den Prozess einbezogen wurden – und diese digitalen Lösungen gemeinsam erarbeitet wurden.
Neben diesen konkreten Änderungen auf Gesetzesebene haben wir weitere Erkenntnisse zur möglichen Optimierung des Gesamtprozesses, zu UI/UX-Herausforderungen von Fachverfahren und zu generellen Performance-Problemen festgehalten sowie einen Plan für Verbesserungen erstellt.
Fünf Prinzipien erleichtern Kommunikation mit unterschiedlichen Akteur:innen
Mit diesem Wissen sind wir gemeinsam mit den Legist:innen des BMF und den zuständigen Umsetzungsakteur:innen in der GZD in die weitere Ausarbeitung des Gesetzes gestartet. Dabei haben wir in der Kommunikation immer wieder die „Fünf Prinzipien für digitaltaugliche Gesetze“ berücksichtigt, die wir im Rahmen des Digitalcheck mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), dem Nationalen Normenkontrollrat (NKR) und einer interministeriellen Arbeitsgruppe definiert haben. Anhand dieser wurden Visualisierungen durchgesprochen, zum Beispiel mit der Frage: „Was müssen wir tun, um eine (Teil-)Automatisierung zu ermöglichen?“ (Prinzip 5). Auch in der Kommunikation mit der Leitungsebene sowie mit anderen Behörden sorgten die Prinzipien immer wieder für ein geteiltes Verständnis.
Die fünf Prinzipien für digitaltaugliche Gesetze spiegeln sich in der Ausarbeitung des Stromsteuerrechts wie folgt wider:
- Prinzip: Eine digitale Kommunikation ist möglich. Die im Energie- und Stromsteuerbereich verwendeten Formulare basieren auf IT-Standards und standardisierten Entwicklungs-Tools und sie werden auf eine Art und Weise konzipiert, dass sie vollumfänglich digital abgebildet werden können.
- Prinzip: Die Regelung schafft Voraussetzungen für die Wiederverwertung von Daten und Standards. Durch Begriffsdefinitionen, die Bestimmung klarer Tatbestandsvoraussetzungen und die Bezugnahme auf Einträge in das Marktstammdatenregister werden Datenstandards festgelegt, die in Formularen fachlich-inhaltlich einheitlich abgebildet werden können.
- Prinzip: Datenschutz und Informationssicherheit ist gewährleistet.
- Prinzip: Es gibt klare Vorgaben für eine digitale Ausführung. Das (Gesetzes-)Vorhaben schafft die Voraussetzung für den elektronischen Datenaustausch. Es werden Vorhalte- statt Vorlagepflichten eingeführt.
- Prinzip: Eine automatisierte Antragstellung ist möglich. Die Regelungen weisen definierte und harmonisierte Rechtsbegriffe auf, die einheitlich in Formularen abgebildet werden können. Die einheitliche, digitale Antragstellung und Antragsbearbeitung werden dadurch erreicht.
Visualisierungen machen Gesetzesentwurf verständlicher
In der Digitalcheck Arbeit betonen DigitalService, BMI und auch der Normenkontrollrat immer wieder die Relevanz von Visualisierungen im Rahmen der digitaltauglichen Gesetzgebung. Ausführlich haben wir über den Mehrwert von Visualisierungen bereits im Artikel „Mit Visualisierungen zu einer digitaltauglichen Gesetzgebung“ berichtet. Vereinfacht gesagt, helfen Visualisierungen den Legist:innen dabei, komplexe Abläufe zu strukturieren und sie schneller und intuitiv erfassbar und besprechbar zu machen. Das Visualisieren von Prozessen macht zum Beispiel frühzeitig auf Logikbrüche innerhalb einer Regelung aufmerksam.
Beim Gesetz zur Modernisierung und zum Bürokratieabbau im Stromsteuerrecht haben wir an folgenden Stellen mit Visualisierungen gearbeitet:
- Rulemap: Eine Rulemap wurde erstellt, um den bestehenden Gesetzestext und seine Logik darzustellen.
- Datenflussdiagramme: Mit ihrer Hilfe wurden mögliche Datenquellen identifiziert. So haben wir verstanden, welche Daten an welchem Ort vorhanden sind.
- Ablaufprozesse: Sie haben es uns möglich gemacht, den Bearbeitungsprozess auf (Teil-)Automatisierungsmöglichkeiten, Medienbrüche und andere Hürden zu untersuchen. Des Weiteren wurde so der Link zwischen Text und Umsetzung für alle Beteiligten transparent.
- Systemdiagramm: Bot sich an, um IT-Systeme darzustellen und so ein gemeinsames Verständnis mit der Umsetzungsebene abzugleichen und für Klarheit zu sorgen, welches Fachverfahren beziehungsweise System wie zu einer „Beschleunigung“ beitragen kann.
Das Arbeiten mit Visualisierungen ist für viele Legist:innen neu. Durch unsere Service Designerin konnten sie an die Methodik herangeführt werden. Ein wichtiger Schritt, um Visualisierungen innerhalb der Verwaltung zu verankern.
Besonders freut uns, dass es die entstandenen Visualisierungen schließlich sogar in den Gesetzentwurf geschafft haben (Gesetzesentwurf, S. 134–136). Das ist ein Musterbeispiel für Transparenz und den Anspruch an eine Verständlichkeit der neuen Regelung. Einige dieser Visualisierungen sind auch Teil des Gesetzentwurfs im Bundestag – auch hier können die beschriebenen Mehrwerte helfen.
Projektpartnerin im Bundesministerium der Finanzen
Die gründliche Analyse von Vollzugsprozessen hat uns geholfen, das Zusammenspiel zwischen den Regelungen und der Administration besser zu verstehen und so den digitalen Vollzug zu gestalten. Die gemeinsame Arbeit mit dem Team des DigitalService war intensiv, hat uns im Ergebnis jedoch viel Zeit für weitere Absprachen gespart.
Fazit: Aufwändig – aber es lohnt sich
Die intensive Begleitung durch das interdisziplinäre Expertise-Team hat die Legist:innen mit ungewohnten Herangehensweisen und teils neuen Methodiken konfrontiert. Im Endeffekt schauen wir aber auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit: Der Digitalcheck hat die Grundlage dafür geschaffen, dass das Gesetz …
- … die Antragstellung vereinfacht, indem unnötig komplexe Verknüpfungen bei der Anrechnung aufgehoben werden, die Online-Antragspflicht um zwei Jahre vorgezogen wird und eine weitgehend automatisierte Bearbeitung von Anträgen ermöglicht. Durch diese gesetzlichen Rahmenbedingungen kann das erwartete, vervielfachte Antragsvolumen (30 000 → 660 000) erst bedient und somit das politische Versprechen des Strompreispakets effektiv umgesetzt werden. Andernfalls wäre die Bearbeitung der Fälle in einem angemessenen Zeitraum nicht möglich.
- … effektiv Bürokratiekosten einspart: Durch die geschaffenen Rahmenbedingungen entsteht eine erhebliche erwartete Entlastung der Wirtschaft um jährlich circa 15,4 Millionen Euro. Quelle: Erfüllungskosten insgesamt – Schätzung des Gesetzentwurfs.
- … nachhaltig befähigt: Das Referat hat auch in einem anschließenden Regelungsvorhaben visualisiert und die Visualisierungen in die Umsetzung einbezogen.
Das sind erste Verbesserungen auf dem Weg zur Modernisierung und dem Bürokratieabbau im Stromsteuerrecht. Wichtig ist nun, die Wirkung der Maßnahmen in der Praxis zu erfassen und sie zu bewerten, damit Anpassungen an die Praxis in weiteren Novellierungen erfolgen können.
Es braucht Digitalexpertise vor Ort
Das Zusammenspiel und die Reaktionen der verschiedenen Akteur:innen zeigen: Digitale Expertise bereits in der Entstehung der Gesetzgebung einzubinden, zeigt Wirkung. Es stärkt die Intention des Digitalcheck: Er vertritt den ganzheitlichen Ansatz, Digitalexpertise und geeignete Methoden und Instrumente von Beginn an in Gesetzgebungsprozessen zu verankern.
Das Format der intensiven Begleitung zeigt auch, dass sich die Unterstützung durch Digitalexpert:innen vor Ort auszahlt. Das Bereitstellen von Anleitungen für andere Methodiken reicht dabei nicht immer aus: Es braucht Teams mit Kompetenzen in IT, Daten, User-Research und Design, die Fragen schnell beantworten können. Erst so wird Wissen transferiert und nutzbar gemacht.
Diesen Lerneffekt möchten wir weiter in die Verwaltung tragen und herausfinden, wie diese Form der Unterstützung für mehr Gesetzesvorhaben bereitgestellt und zum richtigen Zeitpunkt eingebracht werden kann. Darum planen wir in der zweiten Jahreshälfte 2024, neue Unterstützungsangebote zu entwickeln (beispielsweise, um technische Inhalte zu vermitteln) und zwei weitere Regelungsvorhaben mit einem interdisziplinären Team über einige Wochen eng im Hinblick auf Digitaltauglichkeit zu betreuen. Wer Interesse daran hat, kann sich gerne melden: digitalcheck@digitalservice.bund.de. Darüber hinaus bieten wir für kurzfristige Beratung oder einer schnellen Einschätzung zum Digitalbezug von Regelungsvorhaben ad hoc Unterstützung per Telefon (+49 151 40767839) oder E-Mail.