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Eine Mitarbeitende des DigitalService präsentiert an einem Laptop, während auf einem Bildschirm hinter ihr eine Folie auf Deutsch mit Überschriften zu Problemen, Bedürfnissen und Lösungen angezeigt wird.

Erste Schritte für eine Kommu­ni­kationsplattform für zivil­ge­richtliche Online-Verfahren

Eines der Ziele des Digitalisierungsvorhabens „Zivilgerichtliches Online-Verfahren“ ist es, die Justiz durch effizientere Prozesse zu entlasten. In einem Teilprojekt wollen wir daher erproben, wie die verfahrensbezogene Kommunikation im Zivilprozess über eine bundes­einheitliche Kommunikationsplattform erfolgen kann. Eine solche Plattform fordern auch bereits verschiedene Stimmen aus der Rechtswissenschaft, der Justiz und der Anwalt­schaft. Zuletzt hat die auf Beschluss der Justizministerinnen und Justizminister des Bundes und der Länder eingesetzte Reformkommission „Zivilprozess der Zukunft“ in ihrem Abschlussbericht vom Januar 2025 empfohlen, die verfahrensbezogene Kommunikation im Zivilprozess über eine Kommunikationsplattform abzuwickeln. Auch der Koalitions­ver­trag für die 21. Legislaturperiode sieht die Schaffung einer Kommunikationsplattform als Teil eines Bund-Länder-Justizportals vor.

Wir wollen in der Praxis erproben, welche Mehrwerte sich durch neue Kommunikations-, Austausch- und Übermittlungsformen für die Gerichte und die Verfahrensbeteiligten ergeben. In der Zukunft soll die bundeseinheitliche Kommunikationsplattform effiziente und transparente Verfahrensabläufe im Zivilprozess ermöglichen.

In diesem Beitrag beschreiben wir die Ziele der Kommunikationsplattform und erklären, wie sich das Teilprojekt in das Vorhaben „Zivilgerichtliches Online-Verfahren“ einfügt, wie wir schrittweise ein Minimum Viable Product (MVP) entwickeln, welche Erkenntnisse wir bereits aus der Nutzendenforschung gewonnen haben und was wir als Nächstes vorhaben.

Ziele einer Kommunikationsplattform

Die Kommunikation in Zivilverfahren kann bereits heute über den elektronischen Rechts­verkehr digital erfolgen. Bisher bildet sie aber weitgehend die analogen Abläufe des papiergebundenen Aktenaustauschs ab und nutzt die Potenziale digitaler Technologien nicht vollständig aus. Besonders im Bereich sogenannter Massenverfahren, aber auch generell bei der Geltendmachung von Geldforderungen vor den Amtsgerichten, soll eine Kommunikationsplattform den rechtssicheren Austausch von verfahrensbezogenen Dokumenten und strukturierten Daten erleichtern. Sie soll die Arbeitsabläufe von Kläger- und Beklagtenvertretern sowie Gerichtsmitarbeitenden vereinfachen und Zeitaufwände verringern.

Dabei stehen insbesondere folgende Ziele im Fokus:

  • Verfahrensbezogene Daten und Dokumente können an die Kommunikationsplattform übermittelt, dort bereitgestellt, eingesehen und abgerufen werden.
  • Die Kommunikationsplattform gewährleistet eine zentrale Verfügbarkeit verfahrensrelevanter und stets aktueller Informationen.
  • Die wechselseitige Erreichbarkeit zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten wird niedrigschwellig gewährleistet.
  • Die Kommunikationsplattform unterstützt den Übergang von einem dokumentenbasierten zu einem datenbasierten Arbeiten durch die Nutzung strukturierter Datensätze.

Grundlage der Entwicklung ist eine bundeseinheitliche Konzeption. Dies bedeutet, dass wir das „Einer für Alle“-Prinzip (EfA) bei der Entwicklung berücksichtigen, damit pers­pek­tivisch eine Nutzung aus allen für den Einsatzbereich gängigen Fachanwendungen und E-Akten-Systemen der Justiz möglich ist.

Autorin Lene Baumgart spricht gestikulierend vor einer Wand mit bunten Haftnotizen und Kärtchen, die in Spalten angeordnet sind.

Postfach versus Plattform

Aber wie hängt die Kommunikationsplattform mit dem zivilgerichtlichen Online-Verfahren zusammen?

Im Projekt „Zivilgerichtliches Online-Verfahren“ fokussieren wir uns zunächst darauf, einen Online-Dienst für Bürger:innen zu entwickeln, mit dem sie eine digitale Klage erstellen und einreichen können. Die Einreichung erfolgt dabei unter Nutzung der bestehenden Post­fach­lösungen des elektronischen Rechtsverkehrs. Für die Kommunikation mit der Justiz steht den Bürger:innen der kostenlose Dienst „Mein Justizpostfach“ zur Verfügung.

Im Teilprojekt „Kommunikationsplattform“ erproben wir in einem weiteren Schritt zusätz­lich neue digitale Kommunikationswege für das Online-Verfahren, die den elektronischen Rechtsverkehr künftig ersetzen könnten. Für das MVP der Kommunikationsplattform konzentrieren wir uns zunächst auf die Nutzendengruppen der Anwaltschaft und der beteiligten Pilotgerichte mit allen betroffenen Gerichtsmitarbeitenden. Die Übermittlung elektronischer Dokumente oder strukturierter Datensätze zwischen Gerichten und Anwaltschaft soll unmittelbar über die Plattform erfolgen.

Der hierfür notwendige rechtliche Rahmen wird ebenfalls mit dem Erprobungsgesetz geschaffen. Genauer gesagt, sieht der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit die Möglichkeit vor, eine Kommunikationsplattform für den digitalen Austausch zwischen Gerichten und Verfahrensbeteiligten in Zivilprozessen vor den Amtsgerichten bundes­einheitlich zu entwickeln und zu erproben. Der Gesetzesentwurf ist auf der Website des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfügbar.

Das MVP einer Kommunikationsplattform entsteht

Nach der Erstellung eines Konzeptpapiers haben wir mit der iterativen, nutzerzentrierten Entwicklung eines MVPs begonnen, das erste Grundfunktionen enthält. Damit wollen wir im Echtbetrieb erproben, wie die Kommunikationsplattform zu effizienten und transparen­teren Verfahren für Gerichte und die Anwaltschaft beitragen kann.

Zu den geplanten Grundfunktionen und Anwendungsmodulen gehören:

  • Datenraum zur Bereitstellung aller relevanten Dokumente und strukturierter Daten: In diesem Bereich können Kläger-/Beklagtenvertreter die über die Kommunikations­platt­form eingereichten Dokumente und Daten einsehen und abrufen. Das Gericht kann relevante Dokumente im Datenraum einsehbar machen.
  • Eine Benachrichtigungsfunktion, die Nutzende informiert, wenn neue Dokumente oder Daten bereitstehen,
  • Zustellung von Dokumenten, einschließlich Urteilen,
  • Integration der Plattform in die vorhandenen IT-Systeme der beteiligten Pilotgerichte, um eine medienbruchfreie Verfahrensführung für die Gerichte zu ermöglichen,
  • Identifizierung und Authentifizierung für die Anwaltschaft,
  • Übermittlung von Dokumenten und strukturierten Daten über eine öffentliche Programmierschnittstelle oder ein Web-Interface für die Anwaltschaft.

In den letzten Monaten haben wir einige Funktionen bereits umgesetzt. Dazu gehören etwa ein technischer Prototyp für einen Durchstich von der Kommunikationsplattform zu einem E-Aktensystem, mit dem Amtsgerichte arbeiten, und die Login-Seite für die Anwaltschaft.

Wir entwickeln unsere Software Open Source, sodass unsere Komponenten öffentlich zur Verfügung stehen. In der Produktentwicklung gehen wir entlang des Servicestandards des Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung vor, und wir stellen sicher, dass die Anforderungen der Justiz an IT-Sicherheit, Barrierefreiheit und Datenschutz erfüllt werden.

Das MVP setzen wir direkt im KERN Designsystem um. Dies ist ein offener, modularer User-Experience-Standard für die deutsche Verwaltung. Er ermöglicht eine nutzenden­zentrierte und barrierefreie Entwicklung digitaler Verwaltungsangebote über alle föderalen Ebenen hinweg.

Unser Ziel ist es, bis Ende 2026 mit dieser ersten funktionalen Version bei einigen Pilotgerichten im Produktivbetrieb zu sein. Das MVP soll dort in echten Verfahren im Bereich der Fluggastrechte und für allgemeine Zahlungsklagen vor den Amtsgerichten eingesetzt werden können und bereits einen klaren Mehrwert für die Zielgruppen bieten.

Mitglieder des Projektteams Kommunikationsplattform sitzen an einem Tisch mit Getränken und Büromaterial, eine der Personen spricht, während die anderen zuhören.

Erste Erkenntnisse aus der Nutzendenforschung

Im Projekt führen wir kontinuierlich Nutzendenforschung durch. Neben Recherchen und dem Austausch mit Expert:innen aus Nachbarländern führen wir insbesondere qualitative Interviews mit Anwält:innen durch, um deren Nutzerbedürfnisse zu analysieren. Weiterhin haben wir Gespräche mit Gerichtsmitarbeitenden sowie Richter:innen geplant.

Recherche und Austausch mit anderen europäischen Ländern

In der ersten Recherchephase haben wir uns insbesondere verschiedene Software-Lösungen europäischer Länder angeschaut, z. B. Verfahrensplattformen in Österreich, Spanien und der Schweiz. Da wir von diesen Lösungen viel lernen können und auf der anderen Seite auch Interesse an unseren Ansätzen besteht, stehen wir nun in regelmäßigem Austausch mit den Kolleg:innen des Justizministeriums in Spanien.

Qualitative Studie mit der Anwaltschaft

Für unsere erste Studie im Rahmen der Nutzendenforschung haben wir qualitative Tiefeninterviews mit Anwält:innen und einer Kanzleimitarbeiterin aus unterschiedlichen Kanzleiformen (Solo- sowie Sozietäten, mit und ohne Kanzleisoftware) geführt. Mit der Studie analysieren wir Arbeitsabläufe in Anwaltskanzleien und identifizieren zentrale Herausforderungen in der Kommunikation mit Gerichten. Zudem konnten wir ein besseres Verständnis für die Aufgabenteilung in Kanzleien entwickeln und identifizieren, welche Potenziale und Mehrwerte strukturierte Daten bieten könnten.

Aus den Erkenntnissen der Gespräche haben wir User-Journeys (Nutzendenreisen) entwickelt. Damit lässt sich im späteren Verlauf der Produktentwicklung z. B. leichter feststellen, an welchen Stellen neue Lösungen Arbeitsabläufe beeinflussen. So können wir auch mögliche Konsequenzen frühzeitig vorhersagen und prüfen. Außerdem haben wir erste Anforderungen an Funktionen eines MVP (Minimal Viable Products) abgeleitet.

Um sicherzustellen, dass sich unsere Lösungen sinnvoll in reale Arbeitskontexte einfügen und einen tatsächlichen Mehrwert schaffen, planen wir über den gesamten Entwicklungs­zeitraum hinweg Studien zur Einbindung der Anwaltschaft. Interessierte Anwält:innen können sich über service.justiz.de/link/studienaufruf-anwaltschaft für eine Teilnahme registrieren. Mit Unterstützung der Bundesrechtsanwaltskammer haben sich bereits mehr als 200 Anwält:innen registriert.

Nächste Schritte im Projekt

Aktuell entwickeln wir die Verfahrensübersicht in der Kommunikationsplattform. Das ist eine Übersichtsseite, auf der eine Anwältin alle Verfahren, die sie gerade führt oder geführt hat, in einer Liste sehen kann. Außerdem erstellen wir ein Konzept für den Daten­raum und die Ansicht von Dokumenten der Verfahrensbeteiligten. Parallel dazu sind wir in der Discovery für weitere Funktionen, z. B. der Zustellung von Dokumenten, die das Gericht sendet, und der Benachrichtigung, wenn diese in der Plattform bereitstehen. In der Entwicklung wollen wir zunehmend datengetrieben vorgehen. Um den Service zu verbessern, wollen wir das Verhalten der Nutzenden daher messen und auswerten.

Mit dem Teilprojekt gehen wir auch die nächsten Schritte in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Wie in den anderen Vorhaben im Bereich „Zugang zum Recht“ möchten wir auch hier wieder eng mit Partnerländern und pilotierenden Gerichten zusammenarbeiten. Dafür stehen nun Workshops mit interessierten Ländern und Software-Anbietern der relevanten Fachverfahren- und E-Aktensysteme auf unserer Agenda. Dabei soll es vor allem um technische Themen gehen, wie die Integration und den Betrieb der Kommunikationsplattform.

Gemeinsam mit der Bundesrechtsanwaltskammer arbeiten wir außerdem intensiv an Überlegungen, wie die Anwaltschaft bestmöglich an- und eingebunden werden kann. Und auch mit Legal-Tech-Unternehmen sind erste Austausche geplant. Über die nächsten Schritte in der Entwicklung des MVPs werden wir im Blog berichten.


Porträtfoto des Autors Rob Bors

Rob Bors

arbeitet seit Juni 2024 als Principal Product Manager beim DigitalService. Er leitet das Projekt Kommunikationsplattform und verantwortet das Produktmanagement. Vor dem DigitalService war er in verschiedenen Branchen als Head of Product für Produktstrategie verantwortlich, u. a. bei idealo und Samedi. Rob ist Niederländer, wohnt seit 27 Jahren in Berlin, hat zwei erwachsene Kinder und erholt sich mit Qi-Gong und Lesen. Er engagiert sich bei Clean-ups, spielt Beachvolleyball und liebt die kulturellen Angebote in Berlin wie Programmkinos und moderne Kunst.

Dr. Lene Baumgart

arbeitet seit April 2024 als Transformation Managerin beim DigitalService. Als promovierte Organisationssoziologin ist sie an den strukturellen Rahmenbedingungen interessiert, die es für eine gelingende Digitalisierung braucht. Zuvor war Lene an der Universität Potsdam beschäftigt und bei der Organisationsberatung Metaplan. Um den Kopf frei zu bekommen, trainiert sie für Läufe in den Großstädten Europas oder fährt mit dem Fahrrad durch Berlin. Entspannung findet sie beim Stricken, in Cafés oder beim Töpfern an der Drehscheibe.


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