
Durch Umsetzung überzeugen: Die strategische Ausrichtung des DigitalService für 2022 und darüber hinaus
Mit der Gründung des DigitalService hat der Bund im Oktober 2020 eine interne Digitalisierungseinheit geschaffen, die die digitale Transformation der Bundesverwaltung vorantreiben soll. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, mit eigenen Teams nach agilen, nutzerzentrierten Methoden entwickelte, digitale Anwendungen für Bürger:innen bereitzustellen und gleichzeitig einen nachhaltigen Kompetenzaufbau und Kulturwandel in der Verwaltung durch unsere Fellowship-Programme zu unterstützen.
Ein kurzer Exkurs zurück ins Jahr 2020: Warum hat der Bund entschieden, dazu eine Inhouse-Einheit aufzubauen? Das „Bundesinteresse“ an einer eigenen internen Einheit bestand und besteht darin,
2021 stand unter dem Motto #yearoflearning. Denn genau wie in der Software-Entwicklung waren wir überzeugt, dass wir auch den DigitalService als Organisation nicht vorab in Konferenzräumen und Powerpoints im Detail ausplanen, sondern informiert aus den Erfahrungen in der Umsetzung aufbauen und ausrichten sollten. Folgende Ziele hatten wir uns vorgenommen:
Wir starteten direkt im November 2020 mit der Arbeit an ersten Software-Projekten. Darüber wollten wir möglichst schnell lernen, auf welche Herausforderungen wir in der Umsetzung von Projekten stoßen, woran es in der Nutzerzentrierung und Verwaltungsdigitalisierung ganz operativ und konkret häufig noch hapert und wie unsere Teams aufgestellt sein und arbeiten müssen, um die Digitalisierung des Bundes bestmöglich zu unterstützen.
Agora – entwickelt gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) und dem Robert Koch-Institut (RKI) – ist eine Kollaborationsplattform für den öffentlichen Gesundheitsdienst, die in der Pandemie die übergreifende Zusammenarbeit der Gesundheitsämter unterstützt. Mit dem Steuerlotsen wurde zusammen mit dem Bundesfinanzministerium (BMF) ein Online-Angebot geschaffen, das Senior:innen die Möglichkeit gibt, mit wenigen Schritten und ohne Vorerfahrung ihre Steuererklärung online abzugeben. Beide Produkte konnten nach 5-7 Monaten in die Nutzung übergehen.
Im April 2021 nahmen wir die Arbeit an zwei weiteren Software-Projekten auf. UseID hat zum Ziel, die Akzeptanz der eID-Funktion des Personalausweises zu steigern. Gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium (BMJ) und dem Bundesamt für Justiz (BfJ) verantworten wir die Entwicklung eines neuen Rechtsinformationssystems inkl. Rechtsinformationsportal. Darüber hinaus unterstützten wir das BMI ab Herbst 2021 bei der Entwicklung eines Online-Generators für rechtssichere IT-Verträge (EVB-IT).
Die Arbeit an diesen sehr unterschiedlichen Produkten hat gezeigt: Auch im Verwaltungskontext ist schnelle, iterative und nutzerzentrierte Softwareentwicklung grundsätzlich erfolgreich möglich. Aber wir sind in den Projekten auch auf Herausforderungen und strukturelle Hürden gestoßen.
Es bedarf einer konsequenten Fokussierung, um einen messbaren Unterschied zu machen und unserer Mission gerecht zu werden.
Von Beginn an waren verschiedene Ressorts offen für eine Zusammenarbeit mit dem DigitalService und das Interesse an unserem Vorgehen groß. Die Projektanfragen überstiegen schnell unsere Kapazitäten. Damit verbunden waren jedoch von Anfang an auch hohe Erwartungen. Hinzu kamen immer wieder Anfragen zu anderen Herausforderungen rund um Verwaltungsdigitalisierung und -modernisierung, die aber nicht unserem eigentlichen Auftrag entsprechen, beispielsweise die Verbesserung der Kooperation zwischen Verwaltung und Start-ups, die Unterstützung von Innovations- und Beteiligungsprozessen oder die Prozessberatung bei Digitalvorhaben.
Jede und jeder in unserer Organisation ist angetrieben durch unsere Mission. Bei der Mannigfaltigkeit der Herausforderungen laufen wir jedoch Gefahr, uns mit zu vielen Themen auf einmal zu verzetteln.
Wir haben Kernkompetenzen und Ziele, auf die wir uns fokussieren müssen und wollen. Diese Fokussierung muss nach innen und außen klar und transparent formuliert sein. Damit deutlich wird, was man von uns erwarten kann und wofür wir Verantwortung übernehmen wollen.
Weg von Buzzwords – Unser Vorgehen zu erklären, Erwartungsmanagement und klare Rollenverteilung sind kritisch für die Durchsetzung unserer Arbeit.
Der Begriff der Agilität hat leider an Trennschärfe verloren. Uns wird regelmäßig gesagt, man arbeite schon „agil und nutzerzentriert“. Aber selbst wenn nicht mehr von einem Lastenheft gesprochen wird, gibt es in den Köpfen unserer Partner:innen oft bereits ausgereifte Lösungsvorstellungen. Und auch dort, wo Fehler- und Lernkultur eigentlich gewünscht sind, ist ein ehrlicher Pivot oder das Scheitern von eigenen Projekten schwer.
Die unterschiedlichen Arbeitsrealitäten moderner Software-Entwicklungsteams und Verwaltungsmitarbeitender zusammen zu bringen erfordert mehr Übersetzungsleistung und begleitendes Change-Management, als wir initial geleistet haben. Wir haben es in Partnerschaften nicht immer geschafft, hier ein gemeinsames Verständnis herzustellen. Das hat teilweise zu Reibungen, Verzögerungen und Missverständnissen geführt – trotz hoher Motivation der Partner:innen, mit denen wir zusammengearbeitet haben.
Es liegt in unserer Verantwortung, die notwendigen Rahmenbedingungen für agiles Vorgehen einzufordern und sicherzustellen, dass der Wunsch nach Agilität auch mit Entscheidungsbefugnissen und Ressourcen auf Seiten der Projektpartner:innen hinterlegt ist. Jedes Projekt braucht ein:en oder mehrere fachverantwortliche Projektpartner:innen, die die Entwicklung als integrierter Teil des Teams eng begleiten. Der digitale Kompetenzaufbau muss mehr Gewichtung auch in unserer Projektarbeit mit den Verwaltungsmitarbeitenden erhalten.
Um Anwendungen zu entwickeln, die unserer Mission gerecht werden – nutzerzentriert, iterativ, mit echtem Mehrwert für Bürger:innen –, müssen wir mehr als nur „Software-Bauer“ sein.
In der Verwaltung werden Software-Projekte nach wie vor häufig in Phasen realisiert und dabei auf unterschiedliche Partner oder Dienstleister zurückgegriffen. Planung, Umsetzung und Betrieb liegen damit in der Regel nicht in einer Hand.
Auf diese Art ist jedoch kein nutzerzentriertes, iteratives Arbeiten möglich – das hat unser erstes Jahr als DigitalService deutlich gezeigt. Denn auch wir wurden in der Anfangszeit oft als reiner „Umsetzer“ angefragt. Aufgrund der vorangegangenen detaillierten Planungs- und Konzeptionsarbeiten fühlte sich unser Vorgehen jedoch manchmal an wie „agiles Theater“. Verbunden mit der ganz konkreten Gefahr, dass auch unsere Lösungen nicht erfolgreich sein werden – jedenfalls dann nicht, wenn man den Erfolg an Nutzung und Akzeptanz der Produkte misst.
Darüber hinaus ist es bei keinem der von uns umgesetzten Produkte nach dem Go-live der ersten Version (MVP) gelungen, einen Betriebspartner zu finden, der Roll-out, Betrieb und nutzerzentrierte Weiterentwicklung des Produkts in unserem Sinne übernehmen konnte.
Damit wir es schaffen, ein Umdenken von zeitlich begrenzten Projekten hin zu langfristig und iterativ (weiter-)entwickelten Produkten zu etablieren, sollten wir nur in solche Projekte einsteigen, in denen wir auch langfristig ein internes, für die Lösung verantwortliches Produktteam aufbauen wollen.
Unsere Projektauswahl muss aktiver werden und anhand klarer Kriterien erfolgen, damit wir strategisch relevante Produkte des Staates im Hinblick auf Verwaltungsdigitalisierung und digitale Souveränität realisieren.
Ohne leistungsfähige Infrastruktur, offene Standards und Schnittstellen können wir in der Verwaltung keine modernen digitalen Produkte entwickeln.
Unsere interdisziplinären Teams bringen die Erfahrung und Methodik für agile Software-Entwicklung mit. Das reine Schließen einer Fähigkeitslücke im Produktmanagement, in UX-/UI-Design oder Software-Programmierung reicht aber nicht aus.
Um Geschwindigkeit bei der Verwaltungsdigitalisierung aufzunehmen und nach modernen Standards entwickeln zu können, braucht es moderne, cloudbasierte Entwicklungs- und Betriebsumgebungen für staatliche Lösungen und die nötigen organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Ausgelagerter Betrieb und die damit einhergehenden Abhängigkeiten erschweren schnelle Iterationen und Releases in der Produktentwicklung. Es braucht klar definierte Standards und Schnittstellen, um Interoperabilität zu gewährleisten. Open Source sollte die Regel sein.
Offenes Arbeiten und transparente Kommunikation sind wichtiger Bestandteil unseres Selbstverständnisses, wir konnten dem aber nicht ausreichend gerecht werden.
Wir wollen als DigitalService über unsere Arbeit auch strukturell zu Veränderungen beitragen. Dafür ist es essenziell, unsere Herausforderungen, Erkenntnisse, Erfolge und Fehler zugänglich zu machen und offen zu diskutieren. Außerdem sollen unsere Produkte auch offen zur Verfügung gestellt werden. Verwendung von Open-Source-Komponenten und Open Sourcing von durch öffentliche Gelder finanzierten Produkten sind in der Verwaltung jedoch noch die Ausnahme. Entsprechend ist dieses Verständnis mit höheren prozessualen und juristischen Aufwänden verbunden als erwartet.
Darüber hinaus müssen wir aktiv in Community Building investieren, sowohl innerhalb der Verwaltung als auch nach außen, um Fach-Communitys und Zivilgesellschaft gewinnbringend einzubinden. Im ersten Jahr konnten wir unserem eigenen und dem von außen bestehenden Anspruch an Transparenz über unsere Arbeitsweisen, Prozesse und Projekte nicht ausreichend gerecht geworden. Uns haben häufig die Zeit und Ressourcen für diese Arbeit gefehlt. Wir müssen Mitarbeitenden aktiv Zeit einräumen, um offene Einblicke in unsere Arbeit zu geben („working in the open“) und unsere Arbeitsergebnisse zugänglich und nachnutzbar zu machen.
In 2021 haben wir unheimlich viel gelernt, auch wenn wir damit noch lange nicht fertig sind. Wir sind auf einige Herausforderungen gestoßen, die wir so nicht antizipiert hatten. Zum Glück haben sich auch viele unserer mit der Gründung verbundenen Annahmen bestätigt. Wir sind sowohl in den Fellowships als auch in der Produktentwicklung erfolgreich. Und wir werden immer breiter in der Verwaltung als ein der Sache verpflichteter und wertvoller Digitalisierungspartner wahrgenommen.
Parallel zur Projektarbeit haben wir 2021 strukturiert untersucht, wie wir mit unserer Arbeit künftig den größten Mehrwert für einen digitalen Staat stiften können. Gemeinsam mit Partnern aus Verwaltung, Zivilgesellschaft und Politik haben wir in den letzten Monaten unseren strategischen Fokus für die nächsten zwei Jahre festgelegt, den wir kommende Woche ebenfalls hier im Blog teilen werden.