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Autor Jörg Ihlefeld hört einem seiner Teammitglieder im Büro des DigitalService zu

NeuRIS: Wo wir im Projekt stehen – und wie sich das MVP verändert hat

Um einen besseren Zugang zu Rechtsinformationen des Bundes innerhalb Deutschlands zu ermöglichen, entsteht ein neues Rechtsinformationsportal. Seit April 2022 wird es in Kooperation von DigitalService, dem Bundesministerium der Justiz (BMJ) und dem Bundesamt für Justiz (BfJ) erstellt. In diesem Blogbeitrag geben wir ein Update über die Entwicklung eines Minimum Viable Product (MVP) der Dokumentationsumgebung, unsere Aufteilung in verschiedene Arbeitsgruppen und zur Etablierung der Zusammenarbeit zwischen DigitalService und den Nutzenden in den Dokumentationsstellen.

Das Gesamtvorhaben „NeuRIS“ besteht aus zwei zentralen Komponenten: einer bundeseigenen Erfassungsumgebung und Datenhaltung sowie einem Rechtsinformationsportal für die Allgemeinheit. Das Ziel ist es, bis Ende der Legislaturperiode das zentrale Portal aufzubauen, das die bestehenden Portale ablöst und den Ansprüchen von Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Legal-Tech-Unternehmen sowie Verlagen etc. besser gerecht wird. Ausführlichere Information über das langfristige Ziel von NeuRIS und die ersten Schritte nach dem Projektstart gibt es in den beiden früheren Blog-Beiträgen Aus Rechtsinformationen werden Open Data: Neues Projekt mit dem BMJ nimmt Fahrt auf (April 2022) und Neues Rechtsinformationssystem: Fahrplan für das MVP steht, Produktentwicklung beginnt (August 2022).

Voraussetzung hierfür ist allerdings die Erneuerung und Modernisierung der bundeseigenen Erfassungsumgebung und Datenhaltung. Dadurch soll den Dokumentationsstellen des Bundesverfassungsgerichts, der obersten Gerichtshöfe des Bundes, des Bundespatentgerichts, des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der Normendokumentation ermöglicht werden, Rechtsinformationen effizient bereitzustellen. Die Auffindbarkeit und Verknüpfung der Rechtsinformationen untereinander spielt dabei eine große und entscheidende Rolle für die Transparenz unseres Rechtssystems. Das Gesamtvorhaben NeuRIS ist damit ganz im Sinne der Open-Data-Strategie der Bundesregierung.

Komplexität

Das Vorhaben ist komplex. Zu den Rechtsinformationen gehören Urteile und Beschlüsse, Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften, aber auch dokumentierte selbstständige und unselbstständige juristische Literatur. Die Nutzenden der Plattformen sind dabei vielfältig und haben unterschiedliche Ansprüche an eine gelungene Umgebung. So muss das System sowohl die Dokumentation von Rechtsinformationen für die Dokumentationsstellen ermöglichen als auch als Quelle für Bundesrichter, Richter und Mitarbeitende von Kanzleien und Gerichten dienen. Mit dem Portal kommen weitere, vielfältige Zielgruppen hinzu: Neben Legal-Tech-Unternehmen, die sich für digitale Geschäftsmodelle und Lösungen für den Rechtsmarkt einsetzen, gehört nicht zuletzt die Allgemeinheit zum Nutzerkreis.

Das Vorhaben ist auch deshalb komplex, weil bestehende Systeme abgelöst werden müssen, an deren Benutzung die Mitarbeitenden in den Dokumentationsstellen gewöhnt sind. Neue Lösungsräume zu eröffnen, ist nicht immer ganz einfach.

Auch der Dokumentationsprozess selbst ist in Teilen sehr komplex. Dokumentation im Kontext von Rechtsinformationen ist kein einfaches Digitalisieren von Text, sondern das Anreichern der Dokumentationseinheiten mit hochwertigen Metainformationen, wie z. B. dem Verlinken der Rechtsinformationen untereinander (Aktiv-/Passivzitierungen) oder das Bilden von Orientierungssätzen bei Urteilen. Im Bereich der Gesetzestexte spielt die Nachvollziehbarkeit von Änderungen in Gesetzen eine große Rolle. All diese Aspekte müssen in einer guten Dokumentationsumgebung berücksichtigt werden.

Mitglieder des NeuRIS Teams in einem hybriden Meeting

In regelmäßigen hybriden Meetings bespricht sich das NeuRIS Team zum aktuellen Arbeitsstand.

Wie organisieren wir uns?

Um den sehr unterschiedlichen Anforderungen aller Stakeholder gerecht zu werden, hat sich das Projektteam im DigitalService aktuell in drei Arbeitsgruppen aufgeteilt, die sich auf fachliche Kontexte und Daten fokussieren. Ein weiteres Team steht in den Startlöchern. Alle Teams agieren interdisziplinär (mit Kolleg:innen aus den Bereichen Design, Engineering, Produktmanagement) und haben engen Kontakt zu den Nutzenden in den Dokumentationsstellen.

  • Rechtsprechungs-Team
    Ziel des Teams ist es, in Abstimmung mit den Mitarbeitenden der Dokumentationsstellen der Bundesgerichte eine Dokumentationsumgebung für die Dokumentation von Rechtsprechung und juristischer Literatur aufzubauen.

  • Normen-Team
    Unser zweites Team bearbeitet einen sehr zentralen Aspekt innerhalb des Rechtsinformationssystems: die Dokumentation der Normen. Das Team steht in engem Kontakt zur Dokumentationsstelle des BfJ in Bonn. Die Normendokumentation ist ein wichtiger Teil des Rechtsetzungskreislaufs. Hier zeichnet sich eine besondere Komplexität ab: Im Gegensatz zu Gerichtsentscheidungen können sich Rechtsvorschriften regelmäßig ändern. Unser Team steht also vor der Herausforderung, den Dokumentationsprozess effizient zu gestalten und dabei eine Datenablage zu erzeugen, die es ermöglicht, zu jedem beliebigen Zeitpunkt in der Vergangenheit die zu diesem Zeitpunkt gültige Norm zu ermitteln und zu referenzieren, soweit diese in der Datenbank vorhanden ist. Das ist z. B. für die Rechtsprechung wichtig, wenn in Verhandlungen darauf geachtet werden muss, welche Norm zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit gültig war.

  • Migrations-Team
    Zentraler Bestandteil unserer Arbeit ist es, die Mengen an bereits bestehenden Daten aus dem Altsystem in das neue System zu übernehmen. Herausforderungen bestehen in dem Wechsel der Datenhaltungstechnologien und der veränderten Ablagestrukturen. Manchmal sind Daten zu interpretieren, bevor sie migriert werden. Ein Beispiel: In Datensätzen taucht manchmal „0000-00-00“ als Wert für ein Datum auf. Das steht für ein unbekanntes oder vormals nicht erfasstes Entscheidungsdatum – aber wer hätte das gewusst? Die Abbildung in dem neuen System sollte und wird auch verständlicher erfolgen.

  • Portal- und API-Team
    Dieses Team nimmt in Kürze seine Arbeit auf. Das Rechtsinformationsportal soll eine einfach zugängliche, barrierefreie und gut nutzbare Webseite und eine offene Schnittstelle bieten, welche die Rechtsdaten zentral und kostenfrei zur Verfügung stellt. Aktuell sind diese Rechtsinformationen noch auf verschiedenen Portalen zu finden: Gesetze-im-Internet, Rechtsprechung-im-Internet und Verwaltungsvorschriften-im-Internet. Dies gilt es zu ändern und zu modernisieren. Eine der ersten Aufgaben für das Team wird die Schaffung einer offenen Schnittstelle (API) sein, die einen Datenaustausch ermöglicht. Angesprochen sind hier Legal-Tech-Unternehmen, aber auch die Wissenschaft, die Zivilgesellschaft und Verlage, die einen Bedarf an Rechtsinformationen haben.

Das MVP entsteht

Aktuell fokussieren wir uns auf die Erstellung eines Minimum Viable Product (MVP), das die Datenhaltung und Dokumentationsumgebung im Bereich Rechtsprechung umfasst, mit dem Schwerpunkt Dokumentation der hauseigenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs.

Im Juni 2022 hatten wir uns dafür ein vorläufiges Ziel gesetzt: Zwölf Monate später, also im Juni 2023, wollten wir ein Minimum Viable Product (MVP) veröffentlichen, das von einer Dokumentationsstelle im Livebetrieb genutzt wird. Im Frühling 2023 hat sich jedoch abgezeichnet, dass dieses Timing unrealistisch ist.

Was hat uns zu dieser Erkenntnis geführt? NeuRIS wird – wie alle Projekte des DigitalService – interdisziplinär, nutzerzentriert und iterativ entwickelt. Ein MVP soll einen frühen Nutzen entfalten. Es soll etwas besser machen als die alte Lösung. In mehreren Workshops mit unseren Nutzer:innen haben wir entsprechend den MVP-Schnitt immer wieder verändert, Aspekte depriorisiert, andere Aspekte dazugenommen. Eine erste Annahme bei der Gestaltung des MVP war, dass dieses z. B. ohne migrierte Daten aus dem Altsystem auskommen würde. Diese Annahme haben wir gemeinsam revidiert. Hintergrund ist die hohe Vernetzung der Daten untereinander (Gerichtsentscheidungen, die andere Gerichtsentscheidungen referenzieren, sowie Gerichtsentscheidungen, die Gesetze zitieren). Um Daten zu verlinken, braucht man dann wenigstens die relevanten Schlüsselattribute der Dokumentationseinheiten und steckt damit bereits mitten in Fragen der Migration. Dieser sehr komplexe Prozess hat letztlich dazu geführt, dass wir den ursprünglichen Zeitplan anpassen mussten.

Zu einem iterativen Vorgehen gehört, dass solche Erkenntnisse im engen Austausch von Projektteam und Nutzenden reflektiert und berücksichtigt werden. Denn neben DigitalService, BMJ und BfJ sind auch die Nutzenden in den Dokumentationsstellen selbst Teil des interdisziplinären Arbeitsteams. Statt konsequent ein gegebenenfalls falsch gesetztes Ziel zu verfolgen, wird im laufenden Projekt stetig neu priorisiert, immer mit dem Ziel, ein nutzerfreundliches und auch akzeptiertes MVP und Produkt zu entwickeln.

Offenheit, Motivation, Erfolg

Mit Start des Projektes im letzten Jahr stellten sich uns die folgenden Fragen: Wie intensiv können wir mit den Nutzenden zusammenarbeiten? Wie viel Zeit würden die Mitarbeitenden der Dokumentationsstellen neben ihrer täglichen Arbeit aufbringen können? Wie aufgeschlossen würden sie unserem Arbeitsmodell folgen? Können sie sich mit einem MVP-Ansatz anfreunden, also dem Start mit einem Produkt, das eben noch nicht alle geforderten Funktionen beinhaltet?

Unsere Sorgen konnten in den ersten Monaten zerstreut werden. Die Teilnahme an den wöchentlichen Konzepttestings und zweiwöchentlichen Reviews zur Demonstration der Fortschritte am Produkt zeigen das hohe Interesse und Engagement bei der Produkterstellung. Der interdisziplinäre Ansatz vereint Nutzende mit Entwickler:innen und lässt alle Gruppen über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Die Nutzenden erfahren Wertschätzung und Beachtung, indem ihr Wissen in den Entwicklungsprozess einbezogen wird. Daraus ergibt sich ein hoher Zuspruch für diese Form der Zusammenarbeit.

Die Nutzenden haben Zugang zum Produkt und wir erleben nicht selten, dass wir unaufgefordert Feedback erhalten, was nichts anderes bedeutet, als dass unsere Projektpartner:innen sich interessiert vor das Produkt setzen und einfach testen. Das ist für beide Seiten von Vorteil: Das Entwicklungsteam bekommt kontinuierlich Feedback zu Funktion und Handhabbarkeit und kann anhand dessen Optimierungen vornehmen. Die Dokumentationsstellen stellen so sicher, dass ihren Bedürfnissen entsprochen wird und „üben“ gleichzeitig täglich mit ihrem zukünftigen System. Das Vertrauen in die Lösung steigt, außerdem sind die Nutzenden mit dem System schon sehr vertraut, sodass ihnen der finale Wechsel bei der endgültigen Systemumstellung leichter fallen wird. Teamwork makes the dream work.

Mit den Nutzer:innen für die Nutzer:innen gemeinsam ein MVP herauszuschälen und in diesem Jahr an den Start zu bringen, ist ein großer Meilenstein und wäre ein großer Erfolg der Zusammenarbeit. Wir werden auf diesem Blog weiter über unsere Fortschritte informieren.


Portrait Foto des Autors Jörg Ihlefeld

Jörg Ihlefeld

ist Principal Product Manager beim DigitalService. Zuvor war er viele Jahre als Project Manager und Berater bei IBM tätig und bringt aus dieser Zeit wertvolle Erfahrung in der Entwicklung komplexer Anwendungen mit. Jörg brennt dafür, agile Organisationen aufzubauen, motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und so effiziente Arbeitsweisen zu ermöglichen. Privat gilt seine Leidenschaft allem, was auf dem Wasser stattfindet: Windsurfen, Segeln und Stand-Up-Paddling.


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