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Eine Gruppe von 8 Personen in informeller Kleidung, die in einem modernen, lichtdurchfluteten Büro um zu einem Dreieck aufgestellten Tisch herum sitzen mit einer Projektorfläche im Hintergrund

Servicestandard ist gut, Schulterblick noch besser

Verwaltungsservices können nur dann richtig gut werden, wenn wir sie auf die richtige Weise entwickeln. Was das heißt und wie das geht, beschreibt der Servicestandard des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) seit Sommer 2020. Wie der Servicestandard beim DigitalService praktisch zum Einsatz kommt, halten wir in sogenannten Peer-Reviews nach und in Reports fest.

In diesem Blogbeitrag geben wir Einblick, wie wir die Qualität von digitalen Angeboten während des Entwicklungsprozesses konkret sicherstellen. Mit einer neuen, detaillierten Anleitung geben wir zudem Kolleg:innen aus anderen Teilen der Verwaltung einen Leitfaden an die Hand, um eigene Peer-Reviews durchführen zu können.

Von der Nachher-Checkliste zum Mittendrin-Workshop

Als wir zuletzt im Sommer 2023 über unsere Arbeit entlang des Servicestandards berichteten, haben unsere Teams retrospektive Selbstaudits für mehrere abgeschlossene Projekte durchgeführt. Am Ende des Service-Lebenszyklus eines Angebots ging ein interdisziplinäres Team je alle 19 Punkte des Servicestandards durch und versuchte einzuschätzen, wie weit sie erfüllt worden waren. Kolleg:innen aus Design, Produktmanagement, Software-Entwicklung und Transformationsmanagement kamen zusammen, um darzulegen, wie sie selbst ihre Bemühungen in den sechs Servicestandard-Themenbereichen Nutzerzentrierung, Vorgehen, Zusammenarbeit, Offenheit, technischer Betrieb und Wirkungscontrolling beurteilten und wo sie noch Abweichungen vom Standard sahen. Die umfänglichen Berichte sind auf unserer Transparenzseite zu finden.

Nach getaner Arbeit das Ergebnis selbst zu bewerten, ist jedoch mit Befangenheiten gespickt. Daher haben wir, wie im Blogbeitrag in Aussicht gestellt, diese Praxis der Selbsteinschätzung durch eine Fremdbegutachtung mit themenfernen Fachkolleg:innen ersetzt.

Bereits seit 2021 empfiehlt der Nationale Normenkontrollrat (NKR) während des Entwicklungsprozesses Service-Reviews durchzuführen. Im Servicehandbuch des NKR für Projektverantwortliche heißt es: „Service-Reviews sind kritische Punkte während Ihres Vorhabens, an denen es empfohlen ist, externe Hilfe einzuholen. Sie liegen vor wichtigen Meilensteinen.“ Einer der wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung neuer digitaler Angebote ist die Veröffentlichung einer ersten frühen Version. „Für eine Service-Review sollten Sie projekt-externe Experten hinzuziehen“, rät der NKR.

Basierend auf dieser Empfehlung und informiert durch die mehrjährige Erfahrung mit Service-Assessments von Kolleg:innen in der britischen Verwaltung führen wir seit Sommer 2023 Peer-Reviews durch. Nach nunmehr fünf Peer-Reviews ist das Format etabliert und optimiert. Über die vergangenen Monate hinweg haben wir daraus einen Leitfaden abgeleitet, der nun offen verfügbar ist. Somit können andere auf unseren Erfahrungen aufbauen und bei Interesse selbstständig Service-Reviews durchführen.

Eine Gruppe von 10 Personen in informeller Kleidung, die in einem modernen, lichtdurchfluteten Büro um einen Tisch herum sitzen – mit einem Whiteboard und einem Poster des Servicestandards hinter ihnen

Service-Schnappschuss in drei Stunden

Das Peer-Review-Verfahren begutachtet in einem dreistündigen Workshop ein in der Entwicklung befindliches Angebot aus einem möglichst breiten Blickwinkel. Das ist möglich, da alle an der Entwicklung beteiligten Disziplinen involviert sind. Strukturiert entlang der sechs Themenfelder und 19 Punkte des Servicestandards demonstrieren und berichten die jeweils verantwortlichen Teammitglieder, was sie getan haben, um die Punkte in ihrem speziellen Arbeitskontext bestmöglich zu erfüllen. Sie berichten von der Arbeit, zeigen das Geleistete und beantworten Rückfragen. Die Peer-Reviewer spiegeln ihre Fachdisziplinen – Design, Produktmanagement, Software-Entwicklung, Transformationsmanagement und User Research. Sie hören aufmerksam zu, machen Notizen und stellen Nachfragen.

Im Nachgang erarbeiten die Peers einen Zwischenbericht, der herausstellt, was das Team bisher Gutes geleistet hat. Zudem enthält er Empfehlungen, was das Team als Nächstes angehen sollte. Die Fachkolleg:innen geben eine kodierte Einschätzung zu jedem Servicestandard-Punkt ab. Der Erfüllungsgrad kann „erfüllt“, „fortgeschritten“ oder „noch nicht erfüllt“ sein. Auch kann ein Punkt unter Umständen „nicht zutreffend“ sein. Der Zwischenbericht wird zunächst dem Serviceteam und Serviceverantwortlichen zugänglich gemacht, bevor er schließlich veröffentlicht wird.

Das Format dient der offenen Qualitätssicherung von Verwaltungsservices. Es gibt Raum zum Festhalten des Erreichten nach mehreren Monaten Entwicklungsarbeit. Zudem bietet es für alle Beteiligten eine Gelegenheit zum gemeinsamen Lernen und für Austausch über gute Verwaltungspraktiken. Dafür ist es wichtig, dass alle Teilnehmende mit einer positiv-konstruktiven Einstellung zusammenkommen. Da – anders als in anderen Ländern – der deutsche Servicestandard derzeitig nicht verbindlich ist, gibt es keine negativen Implikationen bei Nichterfüllung eines Punktes. Teams haben jedoch den Anreiz, ein im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestmögliches Angebot zu entwickeln. In anderen Ländern mit verbindlichen Servicestandards wie Australien oder Großbritannien, ist die Erfüllung von Assessments mit der Freigabe von Budgets verbunden. Das kann in Workshops zu einer angespannten Stimmung führen. Das Gegenteil ist bei den Peer-Reviews entlang des deutschen Servicestandards der Fall: Sie sind darauf ausgelegt, wertschätzend und konstruktiv zu sein.

Weiterentwicklung des Formats von innen nach außen

In den vergangenen Monaten erweiterten wir mit jedem Review das Format. Beim ersten Peer-Review für den Justiz-Service „Beratungshilfe beantragen“ kamen sämtliche Fachkolleg:innen aus anderen Teams des DigitalService. Beim Workshop war das Serviceteam allein anwesend. In den Folgemonaten kamen bei den Reviews die ministeriellen Projektpartner:innen hinzu, die Teile der Arbeit vorstellten und Rückfragen der Peers beantworteten. Neben für Bürger:innen entwickelten Services wurden auch interne Angebote für Mitarbeitende von Bundesgerichten begutachtet.

Seit Herbst 2024 kommen die Peers zunehmend aus anderen Digitaleinheiten des öffentlichen Sektors. Bisher begleiteten Fachkolleg:innen aus der Deutschen Rentenversicherung Bund, dem Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund) und von der Inhouse-Beratung der öffentlichen Hand PD unsere Projekte als Peer-Reviewer.

Eine Person nimmt an einer virtuellen Besprechung auf einem Laptop teil. Auf dem Bildschirm wird eine Präsentationsfolie mit dem Titel „Vorgehen (Marie)“ und einer Liste von Aufzählungspunkten angezeigt. Unter der Folie sind die Miniaturansichten der Videos mehrerer Teilnehmer in einer Reihe zu sehen. Im Hintergrund arbeitet eine andere Person an einem Laptop.

Obgleich der Workshop als Präsenz-Format angelegt ist, konnten wir auch ein Hybrid­for­mat erfolgreich testen. Zu einigen Runden kamen zudem externe Besucher:innen hinzu, die selbst an Verwaltungsservices arbeiten und interessiert daran waren, mehr über die praktische Anwendung des Servicestandards zu erfahren. Teils führten Konferenzvorträge zum Einsatz des Servicestandards, die wir auf diversen Veranstaltungen gaben, zu wertvollen Austauschen mit Kolleg:innen aus anderen Digitaleinheiten.

Im November 2024 fand der erste Peer-Review eines Angebots, das nicht beim DigitalService entwickelt wurde, statt. Ein internes Team, das beim Umweltbundesamt eine Suchmaschine für Umwelt- und Naturschutz-Wissen erarbeitet, wollte vor dem Start Anfang 2025 von Fachkolleg:innen Feedback erhalten. Zum Zeitpunkt des Reviews hatte das Team ein Jahr an einem Minimalprodukt gearbeitet und von zahlreichen Nutzenden Feedback eingearbeitet. Es war überzeugt, bereits diverse Punkte des Servicestandards zu erfüllen. Zugleich wollte es verstehen, was es vor dem Start des Regelbetriebs noch angehen und priorisieren sollte. Neben DigitalService Expert:innen wurde das Panel von Kolleg:innen aus zwei weiteren Digitaleinheiten besetzt. Das Entwicklungsteam des Umweltbundesamts erhielt so weiterreichendes, praktisches Feedback.

Im Rahmen des Austauschs der Leuchtturmprojekte der Digitalstrategie wurden Projekte eingeladen, ein Peer-Review zu erhalten. Drei der 18 Leuchtturmprojekte nahmen das Angebot bisher an. Weitere haben Interesse gezeigt.

Die nach den Workshops erstellten Reports geben Feedback zum Zwischenstand der Projekte. Die Empfehlungen sollen den Serviceteams helfen, in der weiteren Entwicklung qualitätssichernde Aktivitäten zu priorisieren. Nach einigen Monaten der Fortentwicklung sind die Teams eingeladen, abermals vorstellig zu werden.

Drei Personen sitzen lächelnd an einem Tisch in einem modernen Büro mit großen Fenstern. Auf dem Tisch stehen Karaffen mit Wasser, Notizbücher und ein Laptop mit Aufklebern.

Fachkolleg:innen vom Umweltbundesamt, ITZBund und DigitalService im Austausch während eines Peer-Reviews

Peer-Reviews für alle Verwaltungsservices

Alle beim DigitalService entwickelten Angebote folgen dem Servicestandard. Das ist mittlerweile gar vertraglich mit den beauftragenden Ministerien vereinbart. Teams werden früh mit dem Servicestandard vertraut gemacht. Wenn sich ein Serviceteam der ersten öffentlichen Version eines neuen Angebots nähert, meldet es sich für ein Peer-Review an. Diese werden beim DigitalService von Transformations-Manager:innen koordiniert und begleitet. Gemeinsam finden sie mit dem Team in den folgenden Wochen ein Zeitfenster von drei Stunden.

Der mehrfach überarbeitete Leitfaden zum Ablauf der Peer-Reviews ist nun auf OpenCoDE zu finden. Ihm sind alle notwendigen Dokumente zur Begleitung des Formats mit minutiösen Instruktionen beigefügt. Entsprechend der Empfehlung des NKR ist es allen interessierten Verwaltungsdigitalisierer:innen empfohlen, das Format in ihren Arbeitskontexten zur Qualitätssicherung anzuwenden. Bei Fragen oder Hilfegesuchen ist das Servicestandard-Team des DigitalService per E-Mail zu erreichen.

Wie kein anderes Format hilft die Peer-Review, die Qualität von Online-Services nachzuhalten. Mitten im Entwicklungsprozess bietet er Teams einen kritisch-konstruktiven Schulterblick von Fachkolleg:innen aus anderen Digitaleinheiten der öffentlichen Hand. Digitalteams und Projektverantwortliche können konkretes Feedback einholen, Rat bekommen sowie praktische Tipps entlang der umfassenden Punkte des Servicestandards erhalten. Für alle Beteiligten gibt es Erkenntnisgewinne und Lerneffekte. Das Format etabliert neue Maßstäbe guter Digitalisierungspraxis, die zukünftigen Projekten als Vorlage und Inspiration dienen können. Die Veröffentlichung der Zwischenberichte ist dabei entscheidend für die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit neuer vorbildlicher Praktiken.

In den kommenden Monaten wird in den Peer-Reviews eine überarbeitete Version des Servicestandards getestet. Derzeitig unterstützt der DigitalService das BMI in der Ausarbeitung einer neuen Fassung. Diese ist unter anderem durch die aktive Arbeit entlang des aktuellen Servicestandards informiert. Wer an einer Entwurfsfassung des Servicestandard 2.0 interessiert ist, selbst als Peer-Reviewer zum Format beitragen möchte oder Verbesserungsvorschläge für den Leitfaden hat, ist herzlich eingeladen, sich bei uns zu melden.


Porträtfoto der Autorin Caroline Merz

Caroline Merz

arbeitet als Senior Transformation Managerin beim DigitalService seit Anfang 2022. Zuvor war sie für knapp fünf Jahre als Programmleiterin für Design-Thinking-Training beim Hasso-Plattner-Institut tätig. Sie ist ausgebildete Scrum-Masterin und begleitet Teams und Organisationen dabei, auf iterative und nutzerzentrierte Weise Projekte und Produkte umzusetzen. Caroline hat einen Hintergrund in Geisteswissenschaft, Verlagswesen und Marketing. Mit ihrer kleinen Tochter verbringt sie am liebsten Zeit beim Kindertanzen und auf den Spielplätzen Berlins.

Porträtfoto der Autorin Kannika Thaimai

Kannika Thaimai

verstärkt den DigitalService seit Juni 2023 als Senior Transformation Managerin. Zuvor verantwortete sie als Program Lead bei der NGO Wikimedia verschiedene Innovations- und Transformationsformate, um Open-Source-Software und Open-Data-Projekte und -Initiativen zu fördern. Kannika liebt es, kreative Austausch- und Lernumgebungen zu gestalten, in denen Vertrauen, Verbundenheit (Mensch-zu-Menschen / Mensch-zu-Umwelt) und „playfulness“ genauso wichtig sind wie das Inhaltliche. Nach der Arbeit entspannt sie am liebsten beim Kochen und entdeckt mit ihrer Familie und dem selbst ausgebauten Bus die „nahe und weite Welt“.

Portrait Foto des Autors Martin Jordan

Martin Jordan

arbeitet als Head of Design & User Research beim DigitalService. Zuvor war er für über sechs Jahre als Head of Service Design im Cabinet Office in London tätig. Dort trieb er beim Government Digital Service die digitale Transformation der britischen Verwaltung und ihrer Verwaltungsdienstleistungen voran. Auch verantwortete er den britischen Servicestandard und das GOV.UK Service Manual. Martin ist leidenschaftlicher Bahnreisender. In den vergangenen Monaten fuhr er mit dem Zug von Berlin nach Edinburgh in Schottland und Barcelona in Spanien. Als Nächstes stehen Schweden und Süditalien auf der Reiseroute.