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Interviewpartner Jörg Ihlefeld im Gespräch mit dem Interviewerim Büro des DigitalService

Auf eine Tasse Kaffee mit … Jörg, Principal Product Manager beim DigitalService

Weder Elektrizität noch komplexe Rechtsvorgänge können ihn erschrecken: Jörg Ihlefeld ist Principal Product Manager und Project Lead beim DigitalService. Er verantwortet das Projekt „Neues Rechtsinformationssystem“ – kurz NeuRIS. Dessen Ziel ist es, ein Informationssystem zu bauen, das alle relevanten Rechtsinformationen zentral verwaltet und für alle Interessierten vollumfänglich online zugänglich macht. Wie man als Routinier in einem Start-up einen kühlen Kopf behält, das verrät uns Jörg bei einer Tasse Kaffee.

Weil ich Project Lead bin, bedeutet das nicht, dass eine Hierarchie existiert – im Sinne von oben wird gedacht und unten wird gemacht.

Hallo Jörg! Das NeuRIS Projekt ist sehr umfassend, schließlich geht es darum, die Dokumentation der Rechtsprechung des Bundes neu zu gestalten. Du bist Project Lead für NeuRIS – was ist da Deine tägliche Arbeit?

Im NeuRIS Team sind wir inzwischen fast 30 Personen. Als Project Lead sehe ich meine Aufgabe insbesondere darin, einen Rahmen zu schaffen, in dem das Team gute Arbeit machen kann. Das betrifft ein gemeinsam etabliertes Zusammenarbeitsmodell, den Zugang zu Informationen und die Organisation einer guten Zusammenarbeit mit unseren Stakeholdern.

Wie hat sich das Team dafür organisiert?

Wir haben das Team in interdisziplinäre Arbeitsgruppen aufgeteilt, aufgebaut aus Designer:innen, Entwickler:innen und Produktmanager:innen. Jede Arbeitsgruppe bearbeitet einen anderen Teilbereich mit verschiedenen fachlichen Kontexten, beispielsweise Rechtsprechung, Normen und so weiter. Diese Teamaufstellung soll bewirken, dass die Arbeitsgruppen quasi autonom in ihren Kontexten ihr Produkt weiterentwickeln können, trotzdem aber gemeinsam daran arbeiten.

Wie ist Deine Führungsphilosophie? Was ist Dir besonders wichtig?

Für mich ist Augenhöhe ganz wichtig. Weil ich Project Lead bin, bedeutet das nicht, dass eine Hierarchie existiert – im Sinne von: oben wird gedacht und unten wird gemacht. Wir haben alle bestimmte Aufgaben, und diese Rollen sind für mich Teil des Gesamtpuzzles. Dieser respektvolle Umgang ist für mich ein ganz wesentlicher Aspekt von Zusammen­arbeit, weil nur dieses Modell Offenheit und Vertrauen in die kreativen Kräfte der einzelnen Menschen weckt. Wir vereinbaren gemeinsam Ziele und die Teams versuchen dann abzuleiten, was wie zu tun ist, um diese Ziele zu erreichen. Diesen Rahmen zu gestalten, dafür arbeite ich. Und dies geht nur, wenn du mit den Teammitgliedern auf Augenhöhe agierst.

Was bedeutet das konkret für den Arbeitsalltag? Wie überträgst Du das Vertrauen?

Das bedeutet viel Delegation im Sinne von „Ich vertraue Dir, dass Du Deine Aufgabe erfüllst“, also Verantwortung zu übertragen. Wenn ich diese Verantwortung an mich ziehe, dann muss ich alles unter Kontrolle haben, und alle Entscheidungen müssen über meinen Tisch gehen. Indem ich aber Verantwortungsbereiche definiere und den Menschen dieses Vertrauen gebe, ermögliche ich ihnen, dass sie die richtigen Dinge tun und selbst gestalten.

Schaut man auf die Verwaltung, erlebt man meist andere Strukturen, die von klaren Hierarchien geprägt sind. Wie kommt es bei den Projektpartner:innen in der Verwaltung an, dass das DigitalService Team anders aufgestellt ist? Bist Du dann die Schnittstelle beziehungsweise wie funktioniert das in der Zusammenarbeit mit der Verwaltung?

Das ist zweistufig: Ich sehe mich schon in der Rolle, viel Stakeholder-Management zu betreiben. Das bedeutet im ersten Schritt, die Kontakte zu den Teams herzustellen. Ich möchte nicht der Engpass sein in der Kommunikation mit den Ministerien, sondern jemand, der diesen Kommunikationskanal eröffnet und dann wieder ein Stück zurücktritt. Aber ich beobachte dann auch, ob es gut funktioniert. Das Zusammenarbeitsmodell etabliert sich zwischen den Stakeholdern und unseren Teams nur, wenn man diesem Kanal den entsprechenden Raum gibt und nicht ständig als Schnittstelle fungiert.

Interviewpartner Jörg Ihlefeld im Gespräch mit dem Interviewer auf der Dachterrasse des DigitalService

Das kann man bestimmt nicht ohne eine gewisse Expertise. Du warst 30 Jahre bei IBM tätig, wieso wechselt man nach so langer Zeit zum DigitalService?

Ja, das ist tatsächlich eine gute Frage. Zunächst ein Schritt zurück: Ich war bei IBM als Projektleiter in Großprojekten mit bis zu 200 Mitarbeitenden tätig. Die Vorhaben haben oft eine ähnliche Komplexität und Größenordnung aufgewiesen – ich habe dort viel über skalierte agile Entwicklung gelernt. Am Ende habe ich aber überlegt, ob dieser reine Beratungs- und Auftragskontext das Richtige für mich ist. Ich war neugierig auf etwas anderes. Ich habe für das letzte Viertel meines Berufslebens nach einem Arbeitgeber gesucht, bei dem ich diese Gedanken rund um Organisationsentwicklung und das Wirken für die Gesellschaft noch einmal intensiver einbringen kann. Und da habe ich den DigitalService für mich entdeckt. Am Ende wollte ich es auch für mich selbst wissen. Veränderung heißt Lernen und Lernen bringt Veränderung.

IBM als alteingesessenes Unternehmen, der DigitalService eher ein Start-up mit einer sehr schnellen Wachstumsphase: Wo sind die Unterschiede im Arbeitsalltag oder vielleicht in der Art zu arbeiten?

Jeder Vergleich kommt hier viel zu kurz. Ich glaube, der entscheidende Unterschied ist die Größe und die damit verbundenen Prozesse, Entscheidungswege und Freiheitsgrade für die handelnden Personen. Die Möglichkeit des Einflusses bei einem Großunternehmen mit mehreren Tausend Mitarbeitenden ist sicher geringer. Beim DigitalService spüre ich einfach andere Freiheitsgrade. Das wirkt irgendwie befreiend und herausfordernd – aber zugleich auch sehr schön.

Kannst Du ein Praxisbeispiel für die „Freiheitsgrade“ geben?

Beim DigitalService war ich plötzlich derjenige, der die Kalkulation baut und freigibt. Gleichzeitig habe ich auch Freiheit beim Aufbau des Teams. Keiner stellte Fragen. Am Anfang war das eine anstrengende Erfahrung, weil ich mir nicht sicher war, ob ich es richtig mache. Wen muss ich eigentlich fragen? Muss ich überhaupt jemanden fragen? Am Ende bedeutete das: Als Produktmanager agierst Du als Unternehmer im Unternehmen. Das muss man erst einmal lernen.

Hast Du vorher schon mal in einer Art Start-up gearbeitet?

Das war natürlich die zweite Motivation. Nachdem ich für mich entschieden hatte wegzugehen, war eine Alternative in ein anderes Beratungsunternehmen zu wechseln. Aber dann habe ich mich gefragt: „Was ändert sich jetzt eigentlich?“. Es war tatsächlich Neugierde, in so eine Art Start-up zu gehen – denn ich wusste nicht, was mich dort erwartet. Und ich hatte auch Hoffnung, viel selbst gestalten zu können.

Wir haben einen Altersdurchschnitt von circa 35 Jahren im Unternehmen. Da Du jetzt zu den etwas älteren Kolleg:innen gehörst: Ist es ein Unterschied, auf einmal mit vielen jüngeren Leuten zusammenzuarbeiten?

Für mich nicht. Ich würde eher die Frage zurückgeben: Macht das für die anderen etwas aus, dass jemand 59 Jahre alt ist? Mein Eindruck ist, dass die Diversität auch Teil der Kultur des DigitalService ist. Alter, Geschlecht oder andere Zugehörigkeiten spielen keine Rolle. Ich mag es, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten, weil da einfach viel Energie, Kreativität und neues Wissen existiert, was ich im Zweifel gar nicht oder noch nicht habe. Und ich finde es mega, in diesem Set-up zu arbeiten, spüre aber auch die Akzeptanz und den Respekt von der jüngeren Seite. Ich liebe das Miteinander der Generationen.

Du bringst viel Erfahrung mit, die jüngere Kolleg:innen noch nicht haben können. Bringt das Herausforderungen mit sich?

Natürlich wünsche ich mir in Ausnahmefällen mehr Erfahrung, manchmal vielleicht auch mehr Seniorität in den Dingen, die wir tun. Wir geben uns aber den Raum, Dinge zu lernen – das unterstütze ich uneingeschränkt und bin damit auch nicht allein. Es ist ein Selbst­verständnis unserer Organisation, nutzerzentrierte digitale Produkte zu entwickeln, die messbar die Interaktion der Bürger:innen mit dem Staat verbessern. Dabei nehmen wir nicht nur die Nutzenden, sondern auch unsere eigenen Mitarbeitenden auf dieser Reise der Digitalisierung und der nutzerzentrierten Produktentwicklung mit. Es gehört für ein Unternehmen heute einfach dazu, den Anspruch an sich selbst zu haben, die eigenen Mitarbeitenden – das schließt mich ein – weiterzuentwickeln.

In jedem Arbeitsprozess geht auch einmal etwas schief. Wie ist Deine Herangehensweise, wenn es ein Problem gibt oder etwas nicht funktioniert hat?

Wir arbeiten retrospektiv die Dinge auf. Das ist ein Ritual, das wir in den Teams sehr kontinuierlich pflegen, sowohl intern als auch kontinuierlich in etwas größeren Abständen mit unseren Stakeholdern. Fehlerkultur heißt auch zu sagen, da ist etwas schiefgegangen und das haben wir nicht gut gemacht. Ich halte das für eine notwendige Kultur, die ich manchmal in anderen Organisationen nicht so spüre. Und ich bin ein Freund davon, dies vorzuleben. Ich sehe dies als transformativen Gedanken in der Hoffnung: Wenn man Fehler eingesteht, diese offen kommuniziert und sagt, das hätten wir besser machen können – dann macht dies über eine längere Zeit auch etwas mit der anderen Seite, produziert Offenheit und Kreativität für Lösungsräume.

Interviewpartner Jörg Ihlefeld im Gespräch mit einer Kollegin im Büro des DigitalService

Was hast Du zuletzt neu gelernt beim DigitalService?

Ich habe nochmal eine Bestätigung erhalten, wie wichtig der Kontakt mit den Nutzenden ist: Wir haben Nutzenden in München unser Produkt vorgestellt und wollten heraus­be­kommen, welchen Reifegrad dieses Produkt schon hat. Wir haben viel positives Feedback erhalten und es bestätigt uns, mit diesem nutzerzentrierten Ansatz zu arbeiten. Das funktioniert besser, als Anforderungsdokumente mit vielen Einzelanforderungen über lange Zeiträume zu erstellen, die man dann irgendwann umsetzt und erst am Ende den Nutzenden zeigt.

Was folgt daraus für Dich?

Ich kann nur empfehlen, nicht monatelang Anforderungen in Lastenhefte zu schreiben, sondern frühzeitig mit Produktentwickler:innen in Kontakt zu treten, ein gemeinsames Problemverständnis aufzubauen und zusammen in die richtigen Lösungen zu investieren. Ich merke auch, wie die Nutzenden begeistert sind, an solchen Produktentwicklungen beteiligt zu sein. Sie bekommen kein Ergebnis vorgesetzt, das sie dann kritisieren dürfen, aber auf das sie dann keinen Einfluss mehr haben.

Du hast viel Verantwortung, wenn Du ein so großes Projekt und Team koordinierst. Wie kannst Du abends abschalten oder was sind Deine Hobbys?

Tatsächlich fällt mir das Abschalten manchmal schwer, weil ich mich sehr verantwortlich fühle für den Arbeitsprozess und das Ergebnis. Ich finde Sport als Alternative gut, insbesondere Laufen. Ich mag auch gerne alle Arten von Wassersport. Das fängt beim Windsurfen an, später kam Jollensegeln dazu. Auch mit einer Jacht auf der Ostsee unterwegs zu sein, führt zu großen Abschaltmomenten, weil es halt viel Konzentration erfordert, auch dort die richtigen Dinge zu tun, damit nichts schiefgeht.

Als gebürtiger Berliner hast Du bestimmt auch einen Tipp zum Entspannen in der Hauptstadt?

Das „Krokodil“ in Köpenick: Es ist ein altes Flussbad und eine Neuentdeckung von mir. Es liegt an der Spree und ist eine tolle Location. Man kann hier baden gehen und hat einen wunderschönen Platz abends im Sommer, um bei einem guten Essen oder Glas Wein aufs Wasser und in den Sonnenuntergang zu schauen.

Was müssen Leute mitbringen, die im NeuRIS Team oder generell beim DigitalService anfangen möchten?

Das sind für mich Offenheit, Transparenz und Neugierde, Dinge lernen und mit den Teams zusammenarbeiten zu wollen. Es gibt viele Spezialist:innen, die hervorragend sind in dem, was sie tun. Aber mindestens genauso wichtig ist es, mit anderen Menschen zusam­men­arbeiten zu wollen. Die Mischung macht Expertise und soziale Kompetenz.

Alter spielt offensichtlich keine Rolle?

Alter spielt überhaupt keine Rolle. Ich nenne dies „the best person for the job“. So sehe ich das eigentlich immer. Die Menschen zu finden, die eine Rolle gut ausfüllen können. Und da spielen verschiedene Aspekte eine Rolle, aber etwas wie Alter überhaupt nicht.

Hast Du außerhalb von Deiner Arbeit ein verstecktes Talent, was bisher noch niemand von Dir wusste?

Ich glaube, ich bin ein guter Handwerker. Ich bin gelernter Elektromonteur, habe also einen ganz klassischen Beruf gelernt. Also mit Elektrizität kann mich keiner erschrecken. Ich bin auch jemand, der gern mit Holz arbeitet und Möbel oder Schränke baut. Es ist so dankbar, weil man ja Dinge für andere tut, die sich dann darüber freuen.

Und noch unsere letzte Frage: Welches Tier ist der DigitalService für Dich?

Hm, ich habe eher ein Tier für mich: Ich wäre der Adler, der über den Wolken schwebt, das große Ganze im Blick behält und versucht, es zu einer Einheit zu orchestrieren. Ich würde jetzt nicht sagen, es ist mein Lieblingstier, aber er ist ein majestätischer Vogel.

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