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Anja Theurer, CFO des DigitalService.

Auf eine Tasse Kaffee mit … Anja, CFO des DigitalService

Als Chief Financial Officer (CFO) bearbeitet Anja gleich mehrere Themen: von der Ver­trags­gestaltung mit unseren Projektpartner:innen bis hin zur Befähigung von Kolleg:innen innerhalb der Organisation. Wie dieses „can do“-Mindset entstanden ist und warum ihre Skikarriere ein Ende findet, das verrät sie bei einer Tasse Kaffee.

Insgesamt ist die Annahme, IT-Projekte auf Jahre vorausplanen zu können, meiner Meinung nach nicht mehr realistisch. Die Entwicklungen sind dafür einfach zu rasant.

Hallo Anja, beim DigitalService Offsite hast Du zur gesamten Organisation gesagt: „We work in a system full of paradoxes“ (Wir arbeiten in einem System voller Paradoxe). Kannst Du bitte erklären, was Du damit meintest?

Ja, gerne. Wir arbeiten im Auftrag der öffentlichen Hand. Das System in Deutschland ist dabei auf die Vermeidung juristischer Risiken ausgelegt. Der DigitalService hat gleich­zei­tig von diesem System den Auftrag bekommen, out of the box zu denken und agil und iterativ zu arbeiten – und diese Arbeitsweise wird dann als risikohaft wahr­genommen. Das widerspricht sich.

Was ist an dieser Arbeitsweise risikohaft?

Wer iterativ arbeitet, probiert verschiedene Möglichkeiten aus. Dazu kann gehören, zunächst in die falsche Richtung zu laufen. Das wird als Risiko wahrgenommen, dabei ist es das nicht. Denn es hilft eigentlich, wenn man früh identifiziert, was nicht funktioniert und dann neu priorisiert. Insgesamt ist die Annahme, IT-Projekte auf Jahre vorausplanen zu können, meiner Meinung nach nicht mehr realistisch. Die Entwicklungen sind dafür einfach zu rasant. Das Ergebnis: die Projekte werden viel teurer, dauern länger. Viele unserer Projektpartner:innen wissen das im Grunde auch. Wenn es aber darum geht, dass wir in der Praxis iterativ arbeiten wollen, dann haben sie Bedenken.

Wie beeinflusst Dich das in Deiner Rolle als CFO? Also Du bist ja nicht direkt involviert in dem, was entwickelt wird.

Ich schaffe die Voraussetzungen für diese Arbeitsweise, weil ich mich um die Vertrags­gestaltung kümmere. Dazu muss man wissen: Der DigitalService ist nicht grundfinanziert. Wir bekommen also nicht eine Summe X pro Jahr, mit der wir machen können, was wir wollen. Stattdessen schließen wir für jedes Projekt einen Vertrag ab. Und da sind wir wieder im Paradoxon: Der Vertrag muss uns sowohl unsere Arbeitsweise erlauben, aber eben auch bis zu einem gewissen Grad die Sicherheitsbedürfnisse der Auftraggeberseite erfüllen. Diese Sicherheit holt sich die Verwaltung gerne über sogenannte Werkverträge. Die beinhalten im Grunde eine detaillierte Leistungs­beschreibung mit bestimmten Features oder Teilleistungen, die am Ende als erledigt abgehakt werden sollen. Das ist meiner Meinung nach aber nur eine Pseudosicherheit.

Kannst Du das bitte ausführen?

Natürlich. Inbegriff einer iterativen Arbeitsweise ist es, eine zu lösende Herausforderung zu definieren, nicht aber unbedingt die Einzelschritte für ein Jahre dauerndes Projekt schon im Voraus festzulegen. In der agilen und iterativen Entwicklung entdeckt man nach und nach, welche Features das Projekt braucht und kann so – gerade bei einer langen Entwicklungszeit – auf sich verändernde äußere Umstände reagieren. Diese Anpassungs­möglichkeiten bieten viel mehr Sicherheit, weil sie dynamischer und erkenntnisbasiert umsetzbar sind. Eine vorgefertigte Liste klappt meist nicht.

Für welche Verträge setzt Du Dich ein?

Meine Kolleg:innen beim DigitalService und ich plädieren für Dienstverträge. In einem Dienstvertrag legen wir mit dem Auftraggeber gemeinsam die Zielstellung eines Auftrages fest, welches Problem das Projekt adressieren und lösen soll. Aber mit welchen Features wir zu diesen Lösungen kommen, das bestimmen wir im Detail nicht vorab. Unsere Auftrag­geber sind aber Werkverträge gewohnt. Von ihnen versprechen sie sich Sicherheit in Sachen Zeit und Budget, weil sie eine detaillierte Leistungsbeschreibung „abhaken“ können. Dass das so auch nicht immer klappt, zeigen die vielen öffentlichen Bauvorhaben auf Werkvertragbasis, die aus dem Ruder laufen. Trotzdem müssen wir immer wieder Überzeugungsarbeit für den Dienstvertrag leisten.

Wie stellt man dafür Verständnis her?

Wir bieten Sicherheit über andere Wege an. Wir integrieren die Projektpartner:innen in die Entwicklung, machen sie in gewisser Weise zu Product Ownern. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir sie sehr regelmäßig über den aktuellen Stand informieren und mit ihnen das weitere Vorgehen besprechen: Welche Möglichkeiten gibt es, um weiterzumachen? Welche Artefakte oder Features bauen wir als Nächstes? Diese Angebote zur Steuerung, zur regelmäßigen Mitwirkung, schreiben wir in die Verträge. Das gibt die Sicherheit, dass das Projekt in die Richtung läuft, die sich unsere Projektpartner:innen wünschen.

Anja Theurer, CFO des DigitalService.

Um so zu arbeiten, braucht es auch innerhalb unserer Organisation bestimmte Voraussetzungen, oder?

Ja! Wir brauchen Jurist:innen mit einem stark ausgeprägten „can do“-Mindset. Nicht den klassischen Typ „Bedenkenträger:in“. Gleichzeitig brauchen wir natürlich juristische Expertise. Solche Kolleg:innen suchen wir bei Bedarf gezielt, das ist auch meine Aufgabe. Die Kolleg:innen müssen den Rahmen der Zusammenarbeit so aufsetzen können, dass er rechtlich sauber ist und uns gleichzeitig unsere Arbeitsweisen erlaubt. Es braucht also Mindset und rechtliche Expertise. Dass diese Fähigkeiten von außen auch wahr­genom­men werden, ist dann der zweite Schritt. Als „Start-up im Staat“ werden wir oft als „die jungen Wilden“ angesehen. Dabei gibt es hier sehr viel Expertise, speziell für unser Wirkfeld.

Findest Du, dass der DigitalService noch ein Start-up ist?

Ja, auf jeden Fall. Denn eine unserer Kernkompetenzen ist es nach wie vor, dass wir uns sehr gut auf Neues einstellen können.

Wie baut Ihr im Legal-Team die Brücke zwischen Erprobungsspielraum und Sicherheit?

Indem wir für diese stark wachsende Organisation Strukturen aufsetzen. Unsere Leitlinie ist es, Freigabeschleifen zu vermeiden. Stattdessen wollen wir die Kolleg:innen dazu befähigen, selbst Dinge entscheiden zu können. Ein Beispiel ist die Nutzung von Tools. Es muss zwar geprüft werden, ob Datenschutz und IT-Sicherheit eingehalten sind, aber ob das gewünschte Tool sinnvoll ist, dürfen die Kolleg:innen aktuell selbst entscheiden. Wir evaluieren dann nach ein paar Monaten, ob alle sorgsam mit dieser Entscheidungsfreiheit umgehen.

Außerdem wollen wir juristische Expertise immer möglichst sachnah einbringen. Ein Beispiel ist Datenschutz und IT-Sicherheit: Wir integrieren Kolleg:innen mit diesen Skills immer sehr früh in die Projektteams, anstatt im Nachgang Genehmigungen von den „Zuständigen“ für Datenschutz- oder IT-Sicherheit einzuholen. Das machen wir, weil wir stark daran glauben, dass eine Entscheidung nicht immer über sechs, sieben oder acht Schreibtische gehen muss, bis sie gefällt wird. Mehr Freigaben machen sie auch nicht besser. Diese Befähigung der Kolleg:innen ist immer unser Ziel. Wo wir sie noch nicht erreicht haben, da greifen wir zuerst auf strikte Freigabeprozesse zurück.

Was bringen die Kolleg:innen hier dafür mit?

Idealismus und Resilienz. Die Herausforderungen bei der Transformation der Verwaltung sind nicht saisonal, sondern strukturell. Wir müssen nicht einmal eine:n Projektpartner:in davon überzeugen, einen anderen Vertrag als üblich aufzusetzen, sondern jedes Mal aufs Neue. Das wird auch erstmal nicht aufhören. Darum braucht es Menschen, die an das Gute unseres Auftrags glauben und nicht so schnell das Handtuch werfen.

Wie bist Du dazu gekommen, Dich dafür einzusetzen? Salopp gesagt: Warum tust Du Dir das an? Als Juristin könntest Du auch in einem anderen Unternehmen arbeiten, in dem Strukturen schon gefestigt sind.

Das ist eine spannende Frage. Wie die meisten Menschen hier denke ich, dass Deutschland eine digitalere und insgesamt funktionalere Verwaltung braucht. Dass ich mich dafür begeistern kann, solche neuen Strukturen zu schaffen, habe ich schon bei meiner vorigen Station erfahren. Ich habe nämlich, bevor ich beim DigitalService war, den Cyber Innovation Hub der Bundeswehr mit aufgebaut, eine Innovationseinheit der Bundeswehr.

In dessen Umfeld Du ja auch noch aktiv bist?

Genau. Ich bin 80 Prozent meiner Zeit beim DigitalService. In der anderen begleite ich unter anderem als Reserveoffizierin die Führungsspitze der Deutschen Marine bei der Einführung agiler Planungs- und Managementinstrumente in die Organisation. Und zum anderen bin ich Mitgründerin und Vorständin von Staat-up e.V.

Ein Handy liegt auf dem Tisch. Eine Rekorder-App ist geöffnet, die ein 44 Minuten und 44 Sekunden langes Gespräch aufgezeichnet hat

Was ist das Ziel dieses Vereins?

Staat-up e.V. ist ein Verein von Angehörigen der öffentlichen Verwaltung, die aktiv die Transformation gestalten möchten. Dabei liegt der Fokus auf der persönlichen und kulturellen Kompetenz der Mitglieder, wie etwa dem Umgang mit Risiken, Kommunika­tions- und Vertrauenskultur. Der Verein fördert diese Eigenschaften, um die Menschen in der Verwaltung zu befähigen, selbst Veränderungsprozesse erfolgreich voranzutreiben.

Das Leben besteht ja nicht nur aus Arbeit: Was tust Du in Deiner Freizeit gerne?

Ich habe so ein paar ganz stinknormale Hobbys, wie, glaube ich, fast jede Großstadt­bewohnerin. Daher mache ich gerne Yoga, weil es Kraft, Beweglichkeit und Entspannung vereint. Außerdem koche ich gerne und spiele Klavier – aktuell am liebsten Chopin. Bis vor Kurzem bin ich auch gerne Ski gefahren, ganze 45 Jahre lang. Aber eine Knieverletzung hat mich in die Zwangspause geschickt und das nicht zum ersten Mal. Vielleicht ist es Zeit für das Ende meiner Skikarriere.

Last, but not least: Welches Tier wäre der DigitalService für Dich?

Oh, das ist schwierig. Irgendein Tier, das schillert.

Zum Beispiel ein Regenbogenfisch?

Nein, der ist zu glitschig. Der DigitalService ist ja mehr hakelig, hat ein paar Stacheln. Ein schillerndes Tier mit Stacheln. Wem hier ein existierendes Tier einfällt, der darf sich gerne bei mir melden.

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