Auf eine Tasse Kaffee mit … Sonja, Senior User Researcherin beim DigitalService
Sonja schaut nicht nur, wie User-Research beim DigitalService fest verankert werden kann und alle Teams erreicht, sondern auch, wie die Bedürfnisse von Bürger:innen in den Projekten Anwendung finden. Bei einem Kaffee erläutert sie, warum Nutzendenforschung in allen Projektphasen relevant ist.
Was mich immer antreibt, ist, wenn aus den Forschungserkenntnissen eine Lösung mit Mehrwert entsteht.
Was wolltest Du als Kind werden?
Wie so viele wollte ich Tierärztin werden. Mit 20 Jahren war meine Idealvorstellung, eine Embedded Journalistin in Kriegsgebieten zu sein (Journalist:in ist einer kämpfenden Militäreinheit zugewiesen, Anmerkung der Redaktion). Ich habe aber doch von einem Journalismusstudium abgesehen.
Und was hast Du stattdessen studiert?
Ich habe dann Angewandte Medienwissenschaft und Angewandte Medienforschung an der TU Ilmenau und der TU Dresden studiert. Mir war immer ganz wichtig, dass es angewandt ist, da ich keine Theoretikerin bin. Ich will die Sachen, die ich mache, auch in der Praxis sehen.
Ich merkte relativ schnell, dass mir das Thema Forschung Spaß macht. Tatsächlich habe ich bereits während des Studiums an einem EU-Forschungsprojekt zur User-Experience von mobilem 3D-Fernsehen mitgearbeitet und darüber auch meine Abschlussarbeit geschrieben.
Was waren Deine ersten beruflichen Stationen?
Nach dem Studium brauchte ich erst mal Geld und habe zunächst in der Marktforschung als Freelancerin gearbeitet. Das war aber nicht meins, weil man macht Forschung, erstellt PowerPoint-Präsentationen und dann ist man raus. Was mich immer antreibt, ist, wenn aus den Forschungserkenntnissen eine Lösung mit Mehrwert entsteht.
Meinen ersten UX-Research-Job startete ich bei ImmobilienScout. Dort gab es bereits ein User-Research-Team mit sechs Leuten, von denen ich ganz viel lernen durfte. Danach war ich fast acht Jahre bei USEEDS. Das war eine Beratungsagentur für User-Centered Design hier in Berlin, die später in der Firma diffferent aufging.
Wir haben das Thema Nutzerzentrierung vorangetrieben und uns mit vielen verschiedenen Unternehmen zusammen angeschaut: Was heißt eigentlich User-Centered Design? Viele haben zu der Zeit gerade angefangen, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Das war spannend, weil ich die Möglichkeit hatte, mit vielen verschiedenen Unternehmen in verschiedenen Kontexten zu arbeiten und unterschiedliche Konstellationen von Organisationen miterleben durfte. Danach kam ein spannender Job bei TIER Mobility. Da durfte ich quasi in einem Start-up-Umfeld User-Research dediziert ausbauen. Das hat mich sehr gereizt.
Du bist inzwischen ein ganzes Jahr beim DigitalService. Welche Projekte betreust Du aktuell?
Ich habe eine geteilte Rolle. Zur Hälfte arbeite ich für mein Fokus-Projekt Digitale Rechtsantragstelle. In der anderen Zeit baue ich zusammen mit unserem Head of Design & User Research die Sub-Disziplin User-Research auf: Was heißt User-Research für den Digital Service und überhaupt im Verwaltungskontext? Wie können wir sicherstellen, dass die Stimmen der Bürger:innen in den Projektteams und von unseren Partnern in den Ministerien gehört werden? Wie können wir die Projektteams dabei unterstützen, User-Research einzubinden und selbst durchzuführen?
Wie würdest Du Deinen Job einem fünfjährigen Kind erklären?
Gute Frage … das ist so ähnlich, wie es seinen Eltern zu erklären (lacht). Meine Aufgabe ist zu schauen, wie Menschen sich mit einem Thema beschäftigen und zu prüfen, an welcher Stelle digitale Services ihnen helfen können oder ob es vielleicht eine andere Lösung gibt, die mehr hilft. Die muss nicht unbedingt digital sein. Wie kann ich das Leben für Menschen vereinfachen? Dafür spreche ich viel mit Menschen, beobachte sie, arbeite mit dem Team, das die Lösung baut, und versuche das wieder so zu übersetzen, dass so gebaut wird, dass es einfach zu nutzen ist und den Bedürfnissen der Menschen auch entspricht.
Wieso hast Du Dich für den DigitalService entschieden?
Ich bin über die Grundsteuerklärung und einen ehemaligen Kollegen auf den DigitalService aufmerksam geworden. Ich hatte ein bisschen den Blog verfolgt und empfand die Unternehmenskultur als sehr spannend: Nutzerzentrierung im Mittelpunkt zu haben als Mission eines Unternehmens. Das ist natürlich für eine User-Researcherin ein Traum. Man bekommt zudem schnell mit, dass alle hier eine sehr hohe intrinsische Motivation haben, etwas zu verbessern.
Ich finde das Thema Verwaltung auch sehr interessant. Ich habe lange in der Privatwirtschaft gearbeitet, wo man sich mit Themen beschäftigt, die nicht unbedingt einen Mehrwert für unsere Gesellschaft liefern. Da war auch der Gedanke: Mache ich mal etwas Sinnvolles, statt einE-Commerce-Produkt noch besser zu machen und mehr den Konsum zu fördern?
Für welche Art des Arbeitens steht der DigitalService für Dich?
Das Thema Nutzerzentrierung ist meine Herzensangelegenheit – idealerweise iterativ und agil gedacht. Also nicht acht Jahre forschen und dann überlegen, wie man das eigentlich umsetzen kann, sondern die Perspektive von Bürger:innen kontinuierlich in die Verwaltung hereintragen.
Was hast Du beim DigitalService neu gelernt?
Wie Verwaltung aufgebaut ist und wie Hierarchien dort funktionieren. Warum macht es das föderale System eigentlich so kompliziert, in Deutschland Digitalisierung umzusetzen? Das föderale System hat viele Vorteile, aber für die Digitalisierung bringt es viele Herausforderungen mit sich.
Im Privatsektor wird zudem das Thema inklusiver Research überhaupt nicht berücksichtigt. Beim DigitalService wird es gelebt – es ist klar, dass wir das machen. Und da muss ich viel neu lernen: Wie setzt man die Prozesse auf, wie geht man in Interviews mit bestimmten Situationen um? Wie gestalte ich die Räumlichkeiten für Menschen mit Einschränkungen, wenn ich Interviews führe? Das sind ganz viele Ebenen, auf denen ich neu denken muss. Aber das Schöne ist, dass hier so viele Menschen sind, die das mit lernen wollen.
Worauf warst Du zuletzt in Deiner Arbeit besonders stolz?
Stolz ist ein schwieriges Wort – ich freue mich lieber. Als ich anfing, gab es ja bereits User-Research in den Projekten, aber es wurde nicht als einzelne Disziplin gesehen. Und dann kam ich rein und hatte plötzlich diese offizielle Bezeichnung. Das Team wächst und wir sind jetzt seit Mai vier User-Researcher:innen. Das zeigt, dass die Nutzerzentrierung beim DigitalService gelebt wird, dass aber auch das Budget von den Projektpartner:innen dafür freigegeben wird und die Nutzerzentrierung auch die Aufmerksamkeit erhält. Über diese Entwicklung freue ich mich!
Was ist aus Deiner Sicht wichtig für eine echte Nutzerzentrierung?
Unabdingbar ist es, erst das Problem verstehen zu wollen, bevor man eine Lösung im Kopf hat. Häufig beantwortet die Lösung nicht das Problem oder erfüllt nicht die Bedürfnisse, die wir eigentlich haben. Müssen wir alle Prozesse in einer Verwaltung digitalisieren? Manchmal ergibt das gar keinen Sinn. Manchmal sind hybride Ansätze wichtig und manchmal liegen die Lösungen vielleicht im Analogen.
Folglich ist es wichtig, nicht einfach blind zu digitalisieren, sondern sich alles gesamtheitlich anzuschauen, sich in das größte Problem zu verlieben und es genau verstehen zu wollen. Digitale Angebote sind niemals fertig, sondern wir entwickeln immer weiter und optimieren immer wieder, weil auch Bedürfnisse sich verändern.
Gab es einen besonderen Aha-Moment?
Wenn wir User-Research betreiben, möchten wir mit den Menschen sprechen, die sich gerade in dieser Situation befinden. Mit ihnen in Kontakt zu treten, ist viel komplizierter, als ich dachte. Das war eine Erkenntnis: Es ist weitaus komplexer, weil wir auch sehr viel inklusiver denken. Wir müssen zudem User-Research viel systematischer denken. Die Idee, nach der Discovery Phase geht man als User Researcher aus dem Projekt raus, das Team macht weiter und irgendwann kommt eine User Researcher:in wieder rein, funktioniert nicht. Research muss dagegen ein systematischer und kontinuierlicher, zentraler Bestandteil eines Projektes sein.
Was ist für Dich der Unterschied in der Unternehmenskultur?
Diese Offenheit und Kommunikation nach draußen wird in anderen Organisationen nicht so gelebt. Im DigitalService ist es absolut gewünscht, dass wir viel nach außen kommunizieren und mit anderen eng zusammenarbeiten an den gleichen Themen. Working in the Open – dass man offen über Sachen reden kann, empfinde ich als große Erleichterung.
Was kannst Du aus Deiner Erfahrung weitergeben?
Adaptionsfähigkeit ist wichtig – wir müssen uns sehr viel an Gegebenheiten anpassen, in denen wir uns befinden. Dieses superschnelle, datengetriebene, iterative Arbeiten trifft auf den Riesenkomplex Verwaltung, der nicht iterativ ist und nicht immer datengetrieben arbeitet. Wir können nicht alles verändern und müssen schauen, welche Punkte wir ändern können, wo wir uns auch gut anpassen können – ohne die eigenen Prinzipien oder die eigenen Arbeitsweisen zurückzustellen.
Was würdest Du jemandem mitgeben, der sich hier bewerben will?
Transformations-Manager:innen: Wie überzeugt man in der Verwaltung, dass Nutzerzentrierung wichtig ist und dieser Ansatz inklusiv gedacht werden muss? Außerdem braucht man ein bisschen Durchhaltevermögen. Wenn wir User-Research machen ist klar, dass man nicht sofort den Erfolg sehen kann, sondern dass es manchmal auch ein Jahr dauert, bevor da überhaupt Erfolg sichtbar ist.
Man benötigt einen langen Atem, sage ich immer. Jetzt haben wir viel über die Arbeit gesprochen, was machst Du denn außerhalb Deines Jobs?
Ich habe zwei Kinder, mit denen ich gern viel Zeit verbringe. Und ich lebe in einer bunten Hausgemeinschaft mit verschiedenen AGs, in denen wir das Haus weiter entwickeln. Das macht mir viel Spaß, da engagiere ich mich viel.
Und unsere Abschlussfrage: Welches Tier ist der DigitalService für Dich und warum?
Ich frage mich, ob man ein eigenes Tier erfinden kann – den Fufipard. Das ist ein Fuchs, der ist ein bisschen diplomatisch, hat die Schärfe und steht auch für Transformation. Und eigentlich die Fliege: Weil wir so nutzerzentriert denken, haben wir auch den Blick überall – ein Rundumblick in die Verwaltung, auf die Bundes- und Länderebene und auf die Bürger:innen. Und sie klebt dran, lässt nicht locker und kommt immer wieder und nervt. Und dann in der Verwaltung der Gepard für Flexibilität und Schnelligkeit.