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Ein Person betrachtet ein großes, weißes Poster an einer Holzwand. Das Poster zeigt verschiedene Punkte der Idee eines überarbeiteten Servicestandards mit blauer Überschrift und Text. Daneben hängen schwarze Bildschirme.

Kollaborativ und nutzerzen­triert: So entwickeln wir den Servicestandard weiter

Ob Wohnsitzanmeldung, Steuererklärung oder Elterngeldantrag – die Bevölkerung wie auch Unternehmen erwarten gute digitale Dienstleistungen. Um solche Angebote erfolgreich zu entwickeln, sind ganzheitliche Qualitätsstandards unerlässlich. Bereits 2020 hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) mit dem Service­standard Qualitätskriterien für gute digitale Services festgelegt. Diese werden aber bis heute zu selten angewendet – unter anderem darum wird er jetzt weiterentwickelt.

Das BMI und der DigitalService arbeiten seit Sommer 2024 am „Servicestandard 2.0“. Ziel ist es, den Servicestandard für die Anwendenden zu verbessern und an europäische Standards anzupassen. Wichtige Erkenntnisse, die wir seit Projektstart gewonnen haben, stellen wir hier im Blogbeitrag vor.

Die Schwächen des bisherigen Servicestandards

Im Jahr 2020 führte das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) den „Servicestandard für die digitale Verwaltung“ ein. Damit definierte der Bund erstmals Qualitätsprinzipien für die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen. Diese Hilfestellung basiert auf einem Vorschlag des Nationalen Normenkontrollrats von 2016 und wurde speziell für die Digitalisierung der Leistungen nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG) adaptiert.

Mit 19 Prinzipien, unterteilt in sechs Kategorien, unterstützt der Standard Verwal­tungs­beschäftigte auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sowie IT-Dienstleister bei der Entwicklung und dem Betrieb digitaler Verwaltungsangebote. Die sechs Kategorien des bisherigen Standards sind: Nutzerzentrierung, iteratives Vorgehen, interdisziplinäre Zusammenarbeit, offenes Arbeiten, robuster technischer Betrieb und effektives Wirkungscontrolling. Ein Servicehandbuch, welches 2021 entwickelt wurde, dient zusätzlich als Wegweiser zur Gestaltung und Inbetriebnahme digitaler Verwaltungs­ser­vices. Es bietet eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Projektarbeit.

Die Erfahrungen mit dem bisherigen Servicestandard haben jedoch Schwächen sichtbar gemacht: So ist der Servicestandard bisher nicht verpflichtend und wird nur von wenigen Beteiligten zur Entwicklung digitaler Verwaltungsdienstleistungen genutzt. Hinweise darauf gaben bereits eine Nutzerrecherche zur Anwendung des Servicestandards vom BMI und eine Begleitstudie zu Servicestandard und Servicehandbuch vom NKR 2021. Eine Weiterentwicklung ist daher erforderlich. Angesichts der fortschreitenden Ver­wal­tungsdigitalisierung muss der Servicestandard zudem an neue Rahmenbedingungen wie nationale und internationale Vorgaben sowie an steigende Anforderungen angepasst werden.

Der DigitalService wendet den Servicestandard seit 2022 konsequent an, um seine Projekte zu entwickeln und deren Qualität sicherzustellen. Die von digitalen Entwicklungsteams verfassten Berichte über die Erfüllung des Servicestandards werden auf unserer Transparenz-Seite veröffentlicht. Ausführlich haben wir über unsere Arbeit mit dem Servicestandard im Sommer 2023 berichtet.

Ein Mann in grauem Hoodie zeigt auf eine Pinnwand mit zahlreichen Dokumenten und farbigen Notizzetteln. Die Notizen sind handbeschrieben und in verschiedenen Farben an der Wand befestigt.

Was wir mit der Weiterentwicklung erreichen wollen

Im Juli 2024 wurde ein Projektteam gegründet, bestehend aus dem BMI sowie dem DigitalService des Bundes. Dieses interdisziplinäre Team vereint Fachexpertise aus den Bereichen Standardisierung, Produktmanagement, User Research und Transformation. Die gemeinsame Vision ist es, den Servicestandard anwendungsorientiert weiterzu­ent­wi­ckeln. Dadurch soll ein begleitendes, praktisches und wirksames Werkzeug entstehen, das schnell gute digitale Verwaltungsdienste entwickelt und betreibt. Dabei stehen drei Hauptziele im Fokus:

  1. Erhöhung der Bekanntheit, Akzeptanz und Anwendbarkeit des Servicestandards auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene.
  2. Anpassung des Servicestandards an neue Anforderungen im Rahmen des fortschrei­tenden Ausbaus der digitalen Verwaltung. Insbesondere soll der Servicestandard besser mit internationalen Richtlinien, wie dem European Interoperability Framework (EIF) der Europäischen Union, kompatibel werden. Dieses Framework verfolgt das Ziel, die Zusammenarbeit und den Datenaustausch zwischen öffentlichen Verwaltungen innerhalb der EU zu fördern.
  3. Schaffung einer Grundlage für einen Normungsprozess zur Sicherstellung der Überprüfbarkeit.

Begleitet wird das Team von einem verwaltungsübergreifenden Sounding-Board, welches 2020 gegründet und jetzt wiederbelebt wurde. Es umfasst Fachleute des BMI, des Nationalen Normenkontrollrats (NKR), der Föderalen IT-Kooperation (FITKO), des Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund), von NExT e. V., dem IT-Dienstleister Dataport, dem Verband für kommunales Management (KGSt) und dem DigitalService.

Die Bedürfnisse der Nutzenden im Fokus

Im Mittelpunkt der Weiterentwicklung stehen die Bedürfnisse der Anwendenden. Zu diesem Zweck wurden Menschen mit Expertise aus verschiedenen Bereichen befragt, darunter der öffentliche Sektor, die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft und die Industrie. An der Befragung nahmen Beteiligte aller föderalen Ebenen – Kommune, Land und Bund – sowie verschiedener Hierarchieebenen, von der operativen Ebene bis hin zur Leitungs­ebene, teil. Darüber hinaus hatten interessierte Fachleute die Möglichkeit, sich für Interviews zu melden, wofür Aufrufe in Fachmedien und sozialen Netzwerken veröffentlicht wurden.

Ein Kreisdiagramm zeigt die Verteilung interviewter Personen: Bund (18), Land (15), Wissenschaft (10), Kommune (9), Wirtschaft (3), Zivilgesellschaft (3). Der Hintergrund ist hellblau.

Von Juli bis November 2024 wurden insgesamt 58 Interviews von jeweils etwa einer Stunde Dauer durchgeführt. Das Vorgehen war dabei semistrukturiert. Das heißt, dass die Gespräche einerseits einer festen Leitstruktur folgten, andererseits aber Raum für offene Diskussionen und spontane Themenwechsel gelassen wurde. Diese Flexibilität ermöglichte es, tiefere Einblicke in die Perspektiven und Erfahrungen der Befragten zu gewinnen, während gleichzeitig zentrale Fragestellungen systematisch behandelt wurden. Zu den festen Fragen gehörten:

  • Wenn Sie sich etwas für den oder vom Servicestandard wünschen könnten, was wäre das?
  • Für Ihren spezifischen Themenbereich: Anhand welcher konkreten bzw. „harten“ Kriterien könnte eine Prüfung erfolgen?
  • Oder: Welche sonstigen Methoden, Prozesse oder Werkzeuge helfen, bei der Entwicklung digitaler staatlicher Services hohe Qualität sicherzustellen?

Das Projektteam wertete die Interviews kontinuierlich und systematisch aus.

Die gewonnenen Erkenntnisse kamen unter anderem in insgesamt acht Workshops mit rund 220 Teilnehmenden zum Einsatz. Diese Workshops fanden im Rahmen der Smart Country Convention 2024 in Berlin, der digitalen PIAZZA-Konferenz, der Public Service Lab Konferenz in Leipzig oder bei Workshops im BMI mit Beteiligten aus den Ressorts und der Wirtschaft statt. In den Workshops hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, die bereits erarbeiteten Inhalte zu kommentieren und weiterzuentwickeln. Der Austausch in diesen Veranstaltungen förderte zusätzliche Erkenntnisse zu den Strukturen, der Kultur und den praktischen Abläufen im öffentlichen Sektor.

Drei Personen sitzen in einem modernen Büro mit großen Fenstern, die einen Blick auf eine Stadtlandschaft bieten. Pflanzen hängen an den Wänden, und ein großes dekoratives „D“ steht im Raum.

Fünf Erkenntnisse der bisherigen Weiterentwicklung

Die Auswertung aller Interviews und Workshops ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Nichtsdestotrotz haben die intensiven Gespräche, Diskussionen und Austauschformate bereits fünf wesentliche Erkenntnisse geliefert:

  1. Die Bekanntheit muss steigen

Die Interviews haben ergeben, dass der Servicestandard und seine Prinzipien bisher nur unzureichend bekannt sind. Nur eine kleine Anzahl an Beteiligten ist mit den Inhalten vertraut und nutzt den Standard aktiv. Daher ist es notwendig, den Servicestandard nicht nur inhaltlich zu verbessern, sondern auch seine Bekanntheit zu erhöhen.

  1. Die Inhalte müssen verständlicher werden

Der Servicestandard muss klarer und schneller verständlich werden. Deshalb liegt ein Fokus auf der Überarbeitung von Inhalt, Umfang und Struktur. Statt der bisherigen sechs Kategorien wird der Standard künftig in vier Phasen gegliedert, die den Prozess der Produktentwicklung widerspiegeln. Die Arbeitstitel der Phasen lauten:

  • Analyse (User-Research)
  • Umsetzung
  • Betrieb
  • Weiterentwicklung

Die überarbeiteten Prinzipien werden in diese Phasen eingeordnet. Die ursprünglich 19 Prinzipien werden auf zwölf bis 13 reduziert. Jedes Prinzip wird klarer formuliert und vertiefend erläutert. Damit soll der Servicestandard insgesamt zugänglicher und praxisorientierter werden.

  1. Es braucht weitere Unterstützungsangebote

Für die Anwendung und Umsetzung des Servicestandards ist zusätzliche Unterstützung erforderlich. Dazu gehören gut strukturierte und leicht zugängliche Informationen. Darüber hinaus können weitere Maßnahmen einen wertvollen Beitrag leisten, wie zum Beispiel:

  • Toolboxen
  • Einblicke in Projektbeispiele
  • Austauschformate zwischen Kommunen, Ländern und Bund
  • Schulungen
  • Communitys of Practice
  1. Die Verbindung zwischen den Verwaltungsebenen muss gestärkt werden

Der Servicestandard muss sicherstellen, dass digitale Dienstleistungen von Kommunen bis hin zum Bund einheitlichen Qualitätsansprüchen gerecht werden. Dabei orientiert er sich auch an EU-Vorgaben, sodass digitale Dienstleistungen aus Deutschland, die anhand des Servicestandards entwickelt und betrieben werden, automatisch EU-Kriterien erfüllen. Das erreichen wir, indem wir gewährleisten, dass der Servicestandard mit anderen relevanten Standards, wie dem EIF, den Mindestanforderungen für „Einer für Alle (EfA)-Leistungen“ sowie den Föderalen IT-Architekturrichtlinien in Einklang steht.

  1. Orientierung ist gut, Vorgaben sind besser

Es besteht eine starke Nachfrage nach verbindlichen Vorgaben. Aus diesem Grund wurde bereits jetzt in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN) ein DIN-SPEC-Prozess initiiert. Eine DIN SPEC, ähnlich wie eine DIN-Norm, dient der Festlegung und Überprüfung von Qualitätskriterien mit Muss-, Soll- und Kann-Anforderungen.

Anfang November 2024 hat ein Konsortium, bestehend aus Behörden, IT-Anbietern und anderen Institutionen, die Arbeit aufgenommen (mehr dazu hier im Bericht des BMI). Bis Anfang Dezember hatte das Konsortium unter der Leitung des DIN und des BMI bereits 98 Prozent der Arbeit abgeschlossen.

Ausblick auf 2025

Unsere bisherige Arbeit hat wichtige Grundlagen für die Weiterentwicklung des Service­standards geliefert und zu einer dringend benötigten Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen geführt. Vorher gab es zu wenig strukturierten Austausch zwischen den Beteiligten, und die Anforderungen der Anwendenden wurden nicht ausreichend berücksichtigt.

2025 wird es darum gehen, die gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen: durch die Verabschiedung der DIN SPEC, der Finalisierung des weiterentwickelten Servicestandards und vor allem durch die Verankerung in der Praxis.


Porträtfoto der Autorin Luise Kranich

Luise Kranich

ist seit April 2022 Referatsleiterin im Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI). Derzeit ist sie in der Abteilung „Digitale Verwaltung“ für die Themen „Rahmenarchitektur, Standardisierung für Plattformsysteme und Digitale Services“ zuständig. Zuvor koordinierte sie die Umsetzungsprogramme des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Bis 2022 war sie am FZI Forschungszentrum Informatik tätig, wo sie unter anderem den Forschungsbereich „Innovation, Strategie und Transfer“ verantwortete. In ihrer Freizeit engagiert sich die Wirtschaftsingenieurin für mehr Chancengerechtigkeit im Tech-Umfeld.

Porträtfoto des Autors Stefan Matanovic

Stefan Matanovic

arbeitet als Senior Transformation Manager beim DigitalService. Gemeinsam mit unserem Kollegen Robert leitet er das Projekt zur Weiterentwicklung des Servicestandards. Zuvor war er fünf Jahre Innovation & Design Manager bei Accenture, wo er die digitale Transformation privater wie öffentlicher Organisationen begleitete.

Porträtfoto des Autors Robert Tiedt

Robert Tiedt

ist Senior Product Manager beim DigitalService. Zusammen mit unserem Kollegen Stefan leitet er seitens des DigitalService das Projekt zur Weiterentwicklung des Servicestandards. Während seiner vorherigen beruflichen Stationen war er unter anderem als Head of Product Management bei brands4friends tätig und baute den österreichischen Marktplatz für ImmobilienScout24 auf.


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