Praxistaugliches Mobilitätsdatengesetz: Ein Work4GermanyErfahrungsbericht
Wie neue Methodik und interdisziplinäre Arbeit in Gesetzgebungsprozessen Voraussetzungen für stärkeren Nutzen von Digitalisierung schaffen, zeigen Projekte wie der Digitalcheck. Aber wie kann eine Expertin für nutzerzentrierte und agile Arbeitsweisen konkret bei der Erstellung eines Digitalgesetzes helfen? Das haben wir Audrey Liehn gefragt, die sich im Rahmen von Work4Germany 2023 genau dieser Aufgabe gewidmet hat: Als Fellow hat sie im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) gezielt daran mitgearbeitet, den Entwurf des Mobilitätsdatengesetzes für Akteur:innen praxistauglich zu gestalten. Einblicke aus ihren sechs Monaten des Fellowship gibt sie in diesem Gastbeitrag in unserem Blog.
Ein Gesetz für bessere Zugänglichkeit zu Verkehrsdaten
Vorab zum Projekt: Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) erarbeitet gerade das „Mobilitätsdatengesetz“. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir schaffen ein Mobilitätsdatengesetz und stellen freie Zugänglichkeit von Verkehrsdaten sicher. Für eine nahtlose Mobilität verpflichten wir Verkehrsunternehmen und Mobilitätsanbieter, ihre Echtzeitdaten unter fairen Bedingungen bereitzustellen.“ Die erwünschte Wirkung des Gesetzes sei eine verkehrsträgerübergreifende Mobilität: die nahtlose Fortbewegung mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln wie E-Scooter, Bus und Bahn also.
Mithilfe eines frühen Beteiligungsverfahrens soll dafür gesorgt werden, dass das Gesetz praxistauglich und wirksam ist. Für neue methodische Impulse und Gestaltung wurde in diesem Rahmen Work4Germany ins Boot geholt – und so Audrey Liehn in das Ministerium entsandt. Mit ihrer Erfahrung als Lead Service Designerin war sie die Richtige, um ihre Projektpartnerin in der Projektplanung, Recherche und Workshopmoderation für die Erstellung des Gesetzentwurfs methodisch zu unterstützen.
Audreys Blick auf das Projekt
Die Herausforderung im Projekt „Mobilitätsdatengesetz“ war von Beginn an für mich Folgende: Das BMDV will ein modernes und praxistaugliches Gesetz auf den Weg bringen. Die Methodik, mit der Gesetze in Deutschland entworfen werden, wird unserer komplexen digitalen Welt aber zunehmend nicht gerecht. So gibt es für die frühe Befragung von Stakeholdern in der Entwurfsphase weder ausreichend Vorgaben noch wird die methodische Herangehensweise an so einen Prozess systematisch den Referent:innen vermittelt. Dabei gilt für die Gesetzesentwicklung, was in der Software-Entwicklung schon Standard ist: Je gezielter und früher Nutzende und Akteur:innen nach ihren Anforderungen befragt werden, desto praxistauglicher und wirksamer sind die Ergebnisse. Mein Ziel war daher, eine nutzerzentrierte Herangehensweise in dem Projekt zu etablieren.
Beim Mobilitätsdatengesetz sind die „Nutzenden“ aber vielseitig: Es soll praktisch sowohl die Interessen beispielsweise von Verkehrsunternehmen und -verbänden, Bundesländern oder der Wissenschaft berücksichtigen. Auch die Nähe zu anderen Gesetzen wie dem Personenbeförderungsgesetz oder EU-Richtlinien galt es zu beachten.
Insgesamt haben sich darauf drei Problemstellungen für mich abgeleitet:
- Wie lassen sich für eine effektive Gesetzgebung zwei unterschiedliche Herangehensweisen zusammenführen: die klassische juristische, durch die Verwaltungsstrukturen geprägte Arbeitsweise, zusammen mit der ergebnisoffenen Arbeitsweise aus dem Innovationsbereich?
- Wie können agile und nutzerzentrierte Methoden im Gesetzgebungskontext praktisch Mehrwert erzeugen?
- Und zuletzt: Wie lassen sich die Erkenntnisse verfestigen und auch für weitere, ähnliche Prozesse in der Verwaltung zugänglich machen?
Für die dritte Frage habe ich zusammen mit meiner Projektpartnerin eine Präsentation mit unseren Ergebnissen und Methoden erstellt, welche wir in mehreren ministeriumsinternen und -externen Runden vorgestellt haben.
Zwei beispielhafte Methoden, die zur Lösung der ersten beiden Punkte geführt haben, folgen hier:
- Fragen kollaborativ beantworten, Aufgabenliste strukturieren
Beim Zusammenführen der Herangehensweisen ist es zunächst einmal wichtig zu verstehen, wie die Verwaltung aktuell Gesetzgebung angeht: In der Priorisierung von Aufgaben bestimmt hauptsächlich die Hierarchie, welche Aufgaben wann im Referat bearbeitet werden.
Als Agile Coach empfehle ich hingegen das Denken in Projekten: Ein Projekt ist ein einmaliges Vorhaben mit einem bestimmten Ziel, für das Aufgaben definiert und umgesetzt werden. Das Vorhaben hat also einen Beginn und ein Ende, kann Meilensteine und mehrere Teilverantwortliche beinhalten.
Projektvorgehen ist sinnvoll, um Arbeit effektiv zu organisieren – und eben auch eng einzuplanen, wann welche Stakeholder hinzugezogen werden. Zu Beginn des Fellowships waren die Beteiligungsprozesse im Ministerium bereits in vollem Gange, sechs Personen haben daran mitgearbeitet, und ein Eckpunktepapier mit zehn verschiedenen Unterthemen war schon veröffentlicht. Um die daraus resultierenden Aufgaben zu strukturieren, habe ich in der Gruppe ein KanBan-Board in einem kollaborativen, mehrstündigen Termin als Planungstool etabliert. Kollaboratives Arbeiten ist aktuell eher untypisch für die Arbeitsweise in Ministerien, da Vorgänge eher nacheinander von Einzelpersonen bearbeitet werden. Wir hingegen sind als Team Schritt für Schritt die Eckpunkte des Gesetzesentwurfs sowie weitere Aufgabenpakete durchgegangen. Wir haben schriftlich diese Fragen beantwortet: „Welches Wissen gibt es schon, mit dem Du morgen den Entwurf schreiben könntest?“ und „Was fehlt Dir noch zu welchem Eckpunkt, und wer ist mit welcher Dringlichkeit dafür zuständig?“.
Besonders die Priorisierung von Aufgaben hat sich als sehr wertvoll herausgestellt, auch konnten kritische hausinterne Termine frühzeitig geplant werden. Das resultierende KanBan-Board mit gut 100 Einzelaufgaben hat uns sehr geholfen, im Laufe des Projekts mit dem steigenden Druck und der Komplexität zurechtzukommen.
Erwähnenswert ist, wie Jurist:innen die vielen abstrakten Sachverhalte im Kopf jonglieren, und nicht immer transparent sichtbar machen. Als methodische Unterstützung bot sich eine Hypothesen-Tafel an, die zielgerichtete Recherche ermöglicht und Rechtsreferendar:innen zu Fachexpert:innen werden lässt.
- Strukturiert recherchieren, mittels Hypothesen Fachwissen aufbauen
Um zu zeigen, wie agile und nutzerzentrierte Methoden im Gesetzgebungskontext praktisch Mehrwert erzeugen können, gibt es auch ein schönes Beispiel. Wie gesagt, war das Entwurfspapier mit zehn Eckpunkten bereits veröffentlicht und auch von Politik, Unternehmen und Öffentlichkeit mit Stellungnahmen, Wünschen und Kritik kommentiert. Nun ging der Feinschliff der Inhalte, sprich die Folgegespräche mit Stakeholdern los. Erwähnenswert war, wie Jurist:innen die vielen abstrakten Sachverhalte im Kopf jonglierten – aber nicht immer transparent für andere Beteiligte verschriftlichten. Das wollte ich zu Gunsten von höherer Transparenz und Effizienz ändern.
Als methodische Unterstützung bot sich dafür eine Hypothesen-Tafel an: Erst gingen wir alle Stellungnahmen auf dem Eckpunktepapier durch, hielten diese Kommentare als Annahmen in einer Tabelle fest und überlegten, welche der Stakeholder dazu Wissen haben könnten. Erst im nächsten Schritt haben wir die Fragen formuliert, was geholfen hat, um nicht die eigentlichen Rechercheziele zu verlieren. Ein Beispiel für eine solche Frage wäre: „Sollen laut Gesetz nicht nur statische, sondern auch dynamische Verkehrsdaten geteilt werden?“ Workshoptermine mit Stakeholdern folgten, unsere Hypothesen wurden schrittweise bestätigt oder widerlegt. Dank dieser strukturierten Vorgehensweise war meine Projektpartnerin zur wahren Fachexpertin geworden, die aufkommende Rückfragen zu Verkehrsdaten kompetent beantworten konnte.
Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie wir im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses neue Herangehensweisen gewählt haben, um mehr Struktur, diversere Expertisen und mehr Stakeholder in die Entwicklung einzubeziehen. Ich habe in diesem Rahmen viel darüber gelernt, wie Gesetze geschrieben werden sollten: Digitaltauglichkeit sowie Realitätsnähe dank Beteiligungsverfahren sind für mich zwei wichtige Kriterien!
Weitere Informationen zum Work4Germany Fellowship, der Möglichkeit zur Teilnahme und den Inhalten bisheriger Projekte gibt es hier: Work4Germany – Neue Zusammenarbeit für einen zukunftsfähigen digitalen Staat.