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Autorin Franziska schreibt die Worte „Data Privacy“ (auf Deutsch „Datenschutz“) an ein Whiteboard

Recht, aber verständlich – Legal Design

Das Recht ist allgegenwärtig. Es regelt unser Zusammenleben und beeinflusst unseren Alltag maßgeblich. Sei es der Mietvertrag, den wir unterzeichnet haben, das Naturschutzgebiet um die Ecke, die Einwilligung in der Arztpraxis, der existenzielle Behördengang oder das laufende Gerichtsverfahren wegen eines verbeulten Fahrrads.

Trotz zahlreicher Berührungspunkte erscheint vielen Bürger:innen die Rechtswelt unerreichbar entkoppelt von ihrer Lebensrealität. Fachsprache, überkomplexe Regelungswerke, unverständliche Handlungsvorgaben und intransparente Entscheidungsprozesse sorgen für Unsicherheiten und Frust. Im schlimmsten Fall stellen sie eine unüberwindbare Barriere dar. Legal Design arbeitet daran, Recht verständlich und insgesamt zugänglicher zu machen. In diesem Blogbeitrag klärt unsere Kollegin Franziska, LegalDesignerin beim DigitalService, über die Disziplin auf – und zeigt, warum Legal Design auch für interne Compliance-Themen relevant ist.

Was ist Legal Design?

Legal Design ist die bedürfniszentrierte Gestaltung des Rechts in all seinen Erscheinungsformen. Hierzu zählen Gesetze, gerichtliche Prozesse oder Verträge genauso wie digitale Rechtsanwendungen oder Verwaltungsleistungen.

Um Legal Design zu verstehen, hilft es, sich die beiden Komponenten einzeln anzuschauen: Design als Disziplin hat sich über die Jahre entwickelt und geht weit über die äußerlich ästhetische Formgebung hinaus. Als transformativer Prozess rückt es erkenntnisbasiert menschliche Bedürfnisse in den Mittelpunkt. Unter Einbeziehung diverser Perspektiven und Kompetenzen werden innovative Lösungen und Zukunftsentwürfe erdacht, getestet und strategisch umgesetzt. Als ganzheitlicher Ansatz setzt Design die konkreten Herausforderungen strukturiert in ihren Kontext und verliert auch soziale oder ökologische Aspekte nicht aus den Augen.

Design und Recht sind damit eine hervorragende Kombination. Anders, als es sich manchmal anfühlt, ist das geltende Recht nämlich kein starres Konstrukt, sondern dynamisch und entwicklungsoffen. Es wird regelmäßig an gesamtgesellschaftliche Vorstellungen und neue Anforderungen angepasst, was sich beispielsweise im Bundes-Klimaschutzgesetz oder dem europäischen AI Act widerspiegelt. Natürlich sind die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Gestaltung zu beachten. Dennoch bleiben Spielräume, die wir für uns nutzen können. Insbesondere bei der Umsetzung von Gesetzen und der Durchsetzung von Rechten bleibt uns das „Wie“ oft selbst überlassen. Dieses „Wie“ bildet im Legal Design den Ausgangspunkt jedes Gestaltungsprozesses. Das bedeutet zum Beispiel: Eine Betriebsanweisung muss für alle Mitarbeitenden sichtbar sein – wie sie dargestellt wird, das können wir aber weitestgehend selbst entscheiden.

Legal Design ist dabei ein Oberbegriff für verschiedene Bereiche: Legal Systems Design widmet sich unter anderem der Gestaltung unseres Rechtssystems im Ganzen oder Teilen davon, wie dem Gerichtssystem. Legal Service Design sorgt für bürgerzentrierte Angebote der Leistungsverwaltung oder eingängige anwaltliche Rechtsberatung und Legal Product Design befasst sich mit der Gestaltung und Entwicklung meist digitaler Rechtsprodukte wie Software für smartes Vertragsmanagement oder Legal-Aid-Apps.

Der DigitalService arbeitet bereits lange im Bereich Legal Service Design: Im Projekt „Digitale Rechtsanstragstelle“ (RAST) arbeitet etwa ein interdisziplinäres Team daran, Rechtsanträge so zu digitalisieren, dass sie für die Nutzenden besonders verständlich aufbereitet sind.

Autorin Franziska steht im Büro des DigitalService an einem Tisch und zeichnet auf einem Tablet an einer Skizze

Wie funktioniert Legal Design?

Für den Brückenschlag zwischen Mensch und Rechtsmaterie bedient sich Legal Design wissenschaftlicher Erkenntnisse, methodischer Ansätze sowie Denk- und Handlungsweisen aus einer Vielzahl von Disziplinen und setzt diese in einen rechtlichen Kontext.

Bei der Gestaltung bezieht Legal Design etwa folgende Bereiche ein:

  • Neurowissenschaften: Sie geben Aufschluss darüber, wie Informationen im Kopf verarbeitet werden und wie wir sie verständlicher aufbereiten und kommunizieren können. Informationsüberfluss bedeutet Stress für das Gehirn. Konzentration und Aufnahmefähigkeit nehmen ab und damit die Möglichkeit Inhalte zu erfassen und langfristig zu behalten. Deshalb ist es sinnvoll, Informationen in kleinen, leicht zu verarbeitenden Portionen bereitzustellen, zu visualisieren und mit Beispielen oder Handlungsempfehlungen zu veranschaulichen und begreifbar zu machen.
  • Soziologie: Das Feld befasst sich mit dem Zusammenleben von Menschen und hilft uns erfolgreich, rechtliche Veränderungsprozesse zu begleiten.
  • Ästhetik: Hier wird uns gezeigt, wie visuelle oder räumliche Darstellungen maßgeblichen Einfluss darauf haben, wie angenehm eine Rechtserfahrung empfunden wird.

Startpunkt ist stets User-Research, um ein Verständnis für die Menschen in ihrer rechtlichen und tatsächlichen Situation zu entwickeln. Im Vordergrund stehen immer ihre Bedürfnisse, Wünsche und Gewohnheiten, die durch umfassende Recherche und Nutzer:innenbefragung ermittelt werden können. Ist es zum Beispiel das Ziel, den Menschen den Zugang zum Recht zu erleichtern und ihnen ein besseres Verständnis ihrer rechtlichen Situation zu ermöglichen, ist es notwendig, Einblicke in ihre persönliche Situation zu erhalten. Es geht darum, systemische Schwachstellen aufzudecken, individuelle Schmerzpunkte zu identifizieren und die gewonnenen Erkenntnisse zur Grundlage künftiger Entscheidungsfindungen zu machen und die Gestaltung dann darauf auszurichten. So entstehen bedarfsgerechte und zukunftsfähige Rechtslösungen.

Was macht eine Legal Designerin beim DigitalService?

Als erste dedizierteLegal Designerin im DigitalService sind meine ersten Ansatzpunkte unternehmensintern. Meine Arbeit konzentriert sich daher gerade auf Felder wie Datenschutz und ESG Compliance.

Ich bin damit beschäftigt, interne rechtliche Anforderungen so zu gestalten, dass sie zentral abrufbar, für alle verständlich und damit umsetzbar sind. Zudem gilt es, ein Bewusstsein für sensible Bereiche des alltäglichen Handelns zu schaffen.

Auf einem Tisch steht ein Laptop auf dem das Inhaltsverzeichnis des Datenschutzkonzeptes des DigitalService geöffnet ist

Datenschutz

Datenschutz ist für den DigitalService ein essenzieller Bestandteil professioneller und vertrauensvoller Arbeit und wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Digitalisierung. Compliance-Konzepte – etwa für den Datenschutz – bringen aber wenig, wenn sie als bloße Regelwerke unbeachtet in verschiedenen Ordnern des Intranets verstreut liegen, als „notwendiges Übel“ gesehen werden und nach ihrer Einführung schnell in der Schublade landen. Dass das passiert, liegt unter anderem daran, dass es sich hier meist um überlange, komplizierte und unverständliche Textwerke voller Rechtssprache handelt, die schwer zu lesen sind. Hinzu kommt, dass sie oft nur als Einschränkungen und Pflichten wahrgenommen werden, die von oben herab auferlegt werden, ohne dass den Mitarbeitenden klar ist, wie und warum sie sich daran halten sollen.

Das wollen wir beim DigitalService anders machen. Daher habe ich das Datenschutzkonzept neu aufbereitet. Ich habe es einfacher formuliert, aufgeteilt, umstrukturiert und visuell umgestaltet, um die Informationsverarbeitung zu erleichtern und die Merkfähigkeit zu unterstützen. Alle Informationen zum Thema Datenschutz befinden sich nun in einer nutzerfreundlichen, zentralen Informationsquelle. Die Oberfläche ist so gestaltet, dass die wichtigsten Themenbereiche auf einen Blick zu sehen sind und die Nutzenden je nach Interesse weitere Informationen abrufen können.

Barrierefreiheit

Wir wollen Compliance leben und proaktiv in unsere Arbeitskultur integrieren. Außerdem möchten wir, insbesondere wenn es um Themen wie Barrierefreiheit geht, über den Stand der vorhandenen Regelwerke hinausgehen.

Gemeinsam mit unseren Expert:innen für Accessibility (Barrierefreiheit) aus dem Design Team und unserer inhouse Juristin, haben wir einen Crossover Workshop zum Thema Barrierefreiheit konzipiert und veranstaltet. Ziel war es, das Thema Accessibility-Compliance aufzufrischen und zu vermitteln, welche Rechtsvorschriften Anwendung finden, was zu tun ist, um sich rechtskonform zu verhalten, Austausch zu fördern, Verantwortlichkeiten zu klären und Ideen zu sammeln, wie die teilnehmenden Teams auf konkrete Situationen reagieren können.

Arbeitssicherheit

Aktuell arbeite ich außerdem zum Thema Arbeitssicherheit an Prototypen für Compliance-Sticker. Sie sollen einerseits als visueller und humorvoller Hinweisgeber im Büro fungieren und gleichzeitig einen QR-Code zum digitalen Abrufen der Betriebsanweisung tragen. Da es um sicherheitsrelevante Themen geht, ist es wichtig sicherzustellen, dass alle, die potenziellen Gefahren ausgesetzt sein können, einen Direktzugriff auf die nötigen Informationen erhalten.

Die Lösungsansätze sind sowohl auf die Bedürfnisse der Nutzenden als auch auf die Besonderheiten der Organisation als Ganzes abgestimmt. Der DigitalService wächst schnell, damit verändern sich die Anforderungen stetig. Die Legal Design-Projekte sind daher so gestaltet, dass sie gut anpassbar und damit skalierbar sind. Konzepte müssen organisch mitwachsen können, damit sie nicht nach kürzester Zeit überholt sind und nicht mehr funktionieren. Indem wir rechtliche Mindestvoraussetzungen mit unseren Werten ergänzen, gemeinsam Regeln zum Leben erwecken, Maßnahmen aushandeln und so gestalten, dass ein Bewusstsein für potenzielle Risiken entsteht, schaffen wir ein größtmögliches Schutzniveau.

Auf einem Tablet ist eine Skizze zu sehen zum Thema Arbeitssicherheit mit dem Hinweis „Keep safety in mind, it will save your behind“ (auf Deutsch: Denke an Sicherheit, sie wird deinen Hintern retten)

Der Mehrwert von Legal Design

Wo Komplexität zu Klarheit wird, kann Vertrauen entstehen. Begreifbares Recht schafft Transparenz und fördert die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit. Unsicherheiten werden abgebaut und langwierigen Rechtsstreitigkeiten entgegengewirkt.

Die Rechtsordnung richtet sich primär an Menschen. Sie regelt das Verhältnis zwischen Staat und Bürger:innen genauso wie das der Bürger:innen untereinander und spricht dabei zahlreiche Ver- und Gebote für unser Zusammenleben aus.

Ich rücke deshalb menschliche Faktoren in den Fokus meiner Betrachtung und begreife Rechtsdienstleistung weniger als Exklusivleistung denn als Mittel zur Wissensvermittlung und Selbstbefähigung, um die Menschen zu unterstützen, informiert zu handeln, sich zu äußern und ihre Rechte selbstständig auszuüben. Nur so kommt Balance in vorhandene Machtgefälle. Durch nützliche, zufriedenstellende Gestaltung schaffen wir angenehmere Rechtserfahrungen als integraler Bestandteil des alltäglichen Lebens.


Porträtfoto der Autorin Franziska Jansen

Franziska Jensen

arbeitet als Legal Designerin für den DigitalService. An der Schnittstelle zwischen Recht, Design und Zukunftsthemen bringt sie Klarheit in Komplexität und macht sie zugänglich, handhabbar und gestaltbar. Als Juristin mit Zusatzausbildungen im Bereich Design Think­ing, UI Design und Mediation sieht sie ihren Versorgungsauftrag darin, die Menschen innerhalb des Rechtssystems zu befähigen. Ihre Mission ist gemeinwohl­orien­tierte Inno­va­tion. Franziska liebt alles, was mit dem Meer zu tun hat, ihren Hund Fiete und den FC Sankt Pauli.


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