Wie wir gemeinsam mit Bund und Ländern den Antrag auf Beratungshilfe digitalisieren
Wie wird ein Rechtsantrag für alle verständlich, intuitiv – und digital? Daran arbeiten wir im Projekt „Digitale Rechtsantragstelle“. Ein Zwischenfazit: Seit Sommer 2023 wurden mehr als 7000 Vorab-Checks für den Antrag auf Beratungshilfe online durchgeführt – ein wichtiger Meilenstein. Wie wir uns über den Vorab-Check dem Ziel nähern, den Antrag vollständig zu digitalisieren, erklären wir im Update in diesem Blogbeitrag.
Was bisher geschah
Zunächst zum Vorhaben: Im Projekt „Digitale Rechtsantragstelle“ wollen wir Bürger:innen mit Rechtsproblemen eine nutzerfreundliche digitale Anlaufstelle zur Justiz geben. Unser Ziel ist es, Bürger:innen durch verständlich aufbereitete Rechtsinformationen bei der digitalen Antragstellung zu unterstützen. Zudem entstehen daraus Möglichkeiten, die Arbeit der Gerichte effizienter, ressourcenschonender und moderner zu gestalten und dadurch die Justiz zu entlasten.
Im Projekt arbeiten wir im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) mit neun Partnerländern und 16 Pilotgerichten zusammen.
Nach einer Analyse der verschiedenen Funktionen einer Rechtsantragstelle und Gesprächen mit Justizmitarbeitenden haben wir einen ersten Anwendungsfall ausgewählt: Beratungshilfe – die Übernahme von Anwaltskosten für Menschen mit wenig Geld. Was wir in unserer Nutzendenforschung über Beratungshilfe gelernt haben, haben wir bereits in einem Blogbeitrag beschrieben.
Wer sich einmal selbst durch den digitalen Antrag auf Beratungshilfe klicken möchte, um den es in diesem Beitrag geht, kann das hier tun: service.justiz.de
Ein digitaler Zugang zur Beratungshilfe
Das Ziel ist es, mit einfach verständlichen Online-Diensten die Beantragung von Beratungshilfe nutzerfreundlicher zu gestalten. Im Sommer 2023 haben wir dafür einen ersten Online-Dienst gelauncht: Einen „Vorab-Check“, mit dem Bürger:innen schnell und einfach herausfinden können, ob sie für Beratungshilfe berechtigt sind. Nutzende finden den Online-Dienst zusammen mit detaillierten Informationen zur Beratungshilfe, unter anderem zur Antragstellung, den einzureichenden Dokumenten und einem Gerichtsfinder, auf der Website service.justiz.de. Hier entsteht eine zentrale Anlaufstelle, über die zukünftig weitere verlässliche Rechtsinformationen und Online-Dienste der Justiz zur Verfügung gestellt werden.
Der Vorab-Check hat sich bereits etabliert: Im Juni 2024 hatte der Online-Dienst ca. 250 Nutzende pro Woche, ca. 80 Prozent bewerten den Service als hilfreich. Insgesamt wurden seit dem Launch im Sommer 2023 etwa 7200 Vorab-Checks durchgeführt (Stand: August 2024).
Jetzt ist der nächste Meilenstein online zugänglich: Wir haben den digitalen Antrag auf Beratungshilfe gelauncht, den Bürger:innen Schritt für Schritt ausfüllen können. Unterstützung beim Ausfüllen des Papierformulars gab es bisher nur vor Ort im Amtsgericht. Der neue Online-Dienst zeichnet sich aus durch eine einfachere Sprache, Erläuterungen und eine durchdachte Klick-Logik, die Nutzenden nur die für ihren Fall relevanten Fragen stellt. Kurzum: Es ist verständlich, intuitiv und fragt nur die Informationen ab, die wirklich gebraucht werden.
Mitarbeiterin Amtsgericht Osnabrück
Wir beim Amtsgericht Osnabrück haben den Prototypen für den Online-Antrag in den letzten Tagen fleißig getestet – und was soll ich sagen: Wir sind begeistert 🙂! Die adressatengerechte Darstellungsweise gefällt uns sehr gut, ebenso wie die Benutzerfreundlichkeit.
Feedback von Bürger:innen und Rechtspfleger:innen hilft bei der Entwicklung
Warum wir uns sicher sind, dass diese Lösung für Rechtspfleger:innen wie auch Bürger:innen praktikabel ist? Weil wir beide Gruppen im Zuge unserer „partizipativen Produktentwicklung“ eng in den Prozess einbezogen haben.
Vor dem Launch der dialogisch geführten digitalen Antragserstellung hat unser Team Amtsgerichte in ganz Deutschland besucht. Hier konnten wir Prototypen mit Bürger:innen vor Ort testen und gleichzeitig direkte Einblicke in die Arbeit von Rechtspfleger:innen bekommen. Kolleg:innen aus den Disziplinen Produktmanagement, UX/UI-Design, User-Research und Software-Entwicklung waren unter anderem in Bochum, Hameln, Köln, Osnabrück und Stuttgart vor Ort. Die gewonnenen Erkenntnisse sind in die weitere Produktentwicklung eingeflossen.
Ende 2023 haben wir außerdem eine kleine Expertengruppe bestehend aus Rechtspfleger:innen unserer Pilotgerichte gegründet. Mithilfe ihres Fachwissens können wir fortlaufend schnelles Feedback zu einzelnen Funktionen oder Elementen des Produktes erhalten. Wir tauschen uns dazu in regelmäßigen Workshops aus und arbeiten auf einem digitalen Whiteboard zusammen.
Herausforderungen auf dem Weg zum vollständig digitalen Antrag
Bei der Entwicklung begegnen uns verschiedene Herausforderungen. Zwei davon wollen hier näher beschreiben.
Ende-zu-Ende-Digitalisierung
Am Ende des digitalen Antrags können Bürger:innen das fertig ausgefüllte Formular als PDF-Dokument herunterladen. Dieses können sie dann mit einem Justizpostfach – z. B. einem elektronischen Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) oder „Mein Justizpostfach“ (MJP) – elektronisch übermitteln. Alternativ können sie es ausdrucken und per Post oder persönlich beim Amtsgericht einreichen. Die Möglichkeit, die Daten direkt über die Website service.justiz.de digital und strukturiert an das jeweilige Amtsgericht zu schicken, gibt es zurzeit noch nicht.
Das liegt daran: Der Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe muss mündlich oder schriftlich bei dem zuständigen Amtsgericht gestellt werden. Eine elektronische Übermittlung ist nur über einen sogenannten sicheren Übermittlungsweg zugelassen. Aktuell arbeiten wir an einer Lösung, um die Anbindung unseres Online-Dienstes über einen sicheren Übermittlungsweg zu realisieren. Die passenden Schnittstellen dafür müssen noch entwickelt werden. Wir schauen uns bereits zwei vielversprechende Ansätze an und rechnen mit einer Anbindung in den nächsten Monaten.
Usability-Tests haben aber gezeigt, dass bis dahin die Möglichkeit, den Antrag online auszufüllen, herunterzuladen und selbst über ein digitales Justizpostfach oder postalisch einzureichen, für Bürger:innen schon einen Mehrwert bietet.
Rechtssicherheit und Einfachheit
Durch unsere Nutzendentests haben wir gelernt: Der Antrag auf Beratungshilfe ist für Bürger:innen schwer verständlich. Das bundesweit einheitliche Papierformular ist vor längerer Zeit entstanden und unterscheidet sich stark von den Fragen, die Rechtspfleger:innen bei einem mündlichen Antrag im Amtsgericht stellen.
Mit einer dialogischen Abfrage soll unser Online-Dienst die Antragserstellung über das Formular deutlich vereinfachen. Gleichzeitig müssen die Formulierungen der Abfragen rechtlich zutreffend sein. Hier stehen wir vor der Herausforderung, eine Balance zu finden: Was ist verständlich für Bürger:innen? Was brauchen die Justizmitarbeitenden? Was sagt das Gesetz? Zusammen mit unseren Pilotgerichten haben wir verschiedene Formulierungen getestet und iteriert, bis wir zur jetzigen Version gekommen sind.
Aktuell müssen bei fast allen schriftlich gestellten Anträgen Rückfragen vom Amtsgericht gestellt werden, etwa weil Nachweise fehlen. Durch unsere digitale Unterstützung hoffen wir dabei helfen zu können, die Anzahl dieser Rückfragen deutlich zu senken.
Nächste Schritte für die digitale Rechtsantragstelle
Wir haben noch nicht auf alle Fragen und Herausforderungen Antworten, daher werden wir den digitalen Antrag im Live-Betrieb getreu unserer agilen Arbeitsweise weiter testen und iterieren. Wir sind gespannt auf die Erkenntnisse, die wir aus unserer kontinuierlichen Datenanalyse gewinnen und leiten daraus weitere Produktverbesserungen ab. Außerdem prüfen wir weiter, wie wir Daten digital und strukturiert an Gerichte übertragen können.
Im Entwicklungsprozess ist schon klar geworden: Die Wirkung unseres Projektes geht über die reine Digitalisierung von Anträgen hinaus. Die Ergebnisse unserer intensiven Nutzendenforschung haben gezeigt, dass es Verbesserungspotenzial bei dem bundesweit einheitlichen Papierformular zur Beantragung der Beratungshilfe gibt. Viele Antragsteller:innen verstehen das Formular nicht oder nicht vollständig. Rechtspfleger:innen brauchen in der Praxis auch nicht alle abgefragten Informationen, um eine Entscheidung für oder gegen die Bewilligung zu treffen. Wir haben unsere Ergebnisse dem zuständigen Fachreferat im Bundesministerium der Justiz (BMJ) präsentiert und sind aktuell im Austausch darüber, wie das Formular angepasst werden kann.
Und natürlich beschäftigen wir uns auch damit, wie es nach der Digitalisierung des Antrags auf Beratungshilfe weitergeht. Mithilfe von Einblicken und Einschätzungen der Partnerländer und Pilotgerichte haben wir priorisiert, welche Anträge wir als Nächstes digitalisieren wollen. Nachdem wir uns ausführlich mit Beratungshilfe beschäftigt haben, wollen wir nun ein weniger komplexes Thema angehen, bei dem wir auf unsere bisher gesammelten Erkenntnisse aufbauen können. Dazu haben wir eine sechswöchige Discovery-Phase durchgeführt mit dem Ziel ein Formular im Kontext der Prozesskostenhilfe zu digitalisieren – die „Erklärung oder Mitteilung einer Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“, insbesondere bei einer wesentlichen Verbesserung des Einkommens der Person, die zuvor Prozesskostenhilfe erhalten hat. Wie es genau weitergeht, beschreiben wir, sobald es so weit ist hier im Blog.