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„Grundsteuererklärung für Privateigentum“: Wir ziehen Bilanz

Wie gestaltet und entwickelt man eine digitale Abgabemöglichkeit für die Grundsteuererklärung, die gut zugänglich und verständlich ist – und das in nur sieben Monaten? Diese Frage stellten wir uns, als das Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Dezember 2021 den DigitalService mit dieser Aufgabe betraute. In Teilen war uns die Antwort bereits klar, insbesondere was den Prozess der Software-Entwicklung anging: nutzerzentriert, iterativ und mit agilen Methoden. So, wie es unsere Arbeitsprinzipien ohnehin vorsehen.

Etwas über ein Jahr später, am 31. Januar 2023, endete die Frist zur Abgabe der Grundsteuererklärung. Knapp eine Million Erklärungen wurden über unseren Online-Service „Grundsteuererklärung für Privateigentum“ abgegeben. Zeit, das bisher größte Projekt des DigitalService zu resümieren – und zu erklären, wie es weitergeht.

Die wichtigsten Erkenntnisse

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2018 müssen seit Juli 2022 insgesamt ca. 37 Millionen Grundstücke in Deutschland steuerlich neu bewertet werden. Aus diesem Grund wurden die Eigentümer:innen aufgefordert, dem zuständigen Finanzamt mittels Steuererklärung die für die Bewertung erforderlichen Angaben mitzuteilen. Nach einer Fristverlängerung wurde der ursprünglich dafür gedachte Zeitraum von vier auf insgesamt sieben Monate erweitert. Auf der einen Seite war die Reform eine Belastung für die Finanzämter, auf die innerhalb der kurzen Zeitspanne eine Zusatzarbeit in Form von Millionen von Erklärungen zukam. Auf der anderen Seite war es eine Herausforderung für die Eigentümer:innen selbst, die die nötigen Angaben bereitstellen mussten. Um Letzteren die verpflichtend elektronische Abgabe ihrer Grundsteuererklärung zu erleichtern, beauftragte das Bundesministerium der Finanzen im Dezember 2021 den DigitalService mit der Entwicklung einer digitalen Lösung für bestimmte Fallgruppen.

Ein Projekt in dem Tempo und in der Intensität ist für alle Beteiligten sehr lehrreich. Unsere Erkenntnisse und Erfahrungen – sei es zum Einsatz sogenannter magischer Anmeldelinks („Magic Links“) oder auch unsere Vorbereitungen für die zweite Hälfte des Abgabezeitraums – haben wir bereits in verschiedenen Blogbeiträgen gesammelt.

Auf der Rückseite eines Laptops kleben zwei Sticker, die für das Grundsteuer-Team designed wurden.

Für den Zwischenstand von 500.000 abgegebenen Erklärungen gab es einen Sticker als kleine Belohnung (rechts). Mit Ablauf der Abgabefrist bekamen alle Teammitglieder einen weiteren Sticker zum Abschluss des Projekts (links). In unserem Blogbeitrag zur Rolle von Kommunikationsdesign gibt es zusätzliche Informationen zu den Einsatzmöglichkeiten von Stickern.

Rückblickend sind für uns vor allem die folgenden Aspekte besonders herausgestochen:

Steuern: ein komplexes Thema

  • Die größte Herausforderung liegt beim Thema Steuern generell in der Komplexität der verwendeten Sprache. Rechtssichere und juristisch hundertprozentig saubere Formulierungen wirken oftmals kompliziert.
  • Zusätzliche Komplexität ergibt sich aus den logischen Abhängigkeiten: Oft wissen Nutzer:innen nicht, ob eine Formularzeile für sie überhaupt relevant ist oder nicht.
  • Hierdurch entstehen Berührungsängste mit dem Thema Steuern. Nutzer:innen verschieben die Abgabe auf den letzten Moment.

Kurzum: Es ist sehr wichtig, dass Nutzer:innen nicht überfordert, sondern mit verständlicher Sprache und Hinweisen an den notwendigen Stellen durch die Abgabe geführt werden.

Support = User Experience

  • Dass Nutzer:innen Support erhalten, ist ein wichtiger und entscheidender Teil der User Experience.
  • Bei einem Produkt im Live-Betrieb ist der Support zudem die wichtigste Quelle, um direktes Feedback einzusammeln und dieses für eine nutzerzentrierte und erkenntnisgetriebene Weiterentwicklung zu nutzen.

Ein regulärer und gut koordinierter Austausch zwischen unseren Kolleg:innen aus dem Support und unserem Produktteam ist entscheidend.

Einstiegshürde Identifikation

  • Grundlage zur Nutzung des Online-Services „Grundsteuererklärung für Privateigentum” ist die Identifikation der Eigentümer:innen. Diese stellte sich als größte Einstiegshürde heraus. Am Anfang des Abgabezeitraums im Juli waren es nur knapp 30% der Nutzenden, die sich erfolgreich identifizieren konnten.
  • Dementsprechend verwendeten wir einen signifikanten Teil unserer Ressourcen für die Entwicklung und Implementation weiterer Identifikationsmöglichkeiten. Am Ende des Abgabezeitraums lag die Zahl der erfolgreichen Identifizierungen bei 58%.

Insgesamt gaben 99,9% der Nutzer:innen, die sich erfolgreich identifiziert hatten, die Erklärung auch über unseren Service ab. Dieser sehr hohe Wert wiederum spricht für eine sehr gute Nutzerführung im Formular.

Wenig Zeit für ein komplexes Vorhaben

Schon bei unserem ersten Projekt mit dem BMF, dem „Steuerlotse für Rente und Pension“, stellten wir in Gesprächen mit Nutzer:innen fest, dass Steuerthemen häufig als unangenehm empfunden werden und auf eine ablehnende Haltung stoßen. Schon damals fokussierten wir uns auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen und gestalteten die Abgabe der Steuererklärung so einfach wie möglich. Gelungen ist uns dies durch sehr vereinfachte Prozesse, leichte Bedienbarkeit und den Fokus auf die notwendigsten Funktionen und Eingabefelder.

Ein Vorgehen, bei dem wir wussten, dass es für die Grundsteuererklärung noch essenzieller sein würde. Denn hier kam erschwerend hinzu: Die Grundsteuerdaten werden, anders als beispielsweise die Daten für die Einkommensteuererklärung, nicht jährlich erfasst.

Die Komplexität des Themas Grundsteuer und die verhältnismäßig kurze Vorlaufzeit bis zum geplanten Go-live waren es auch, die unseren Handlungsspielraum bestimmten. Durch die Erfahrungen aus dem Vorgängerprojekt „Steuerlotse für Rente und Pension“ – neben den Research-Ergebnissen konnten wir auch auf wiederverwendbare Software-Komponenten zurückgreifen – wussten wir, dass es unser Ziel war, eine nutzerfreundliche und zeitsparende Ergänzung für bestimmte Fallgruppen zum Online-Dienst ELSTER des Bayerischen Landesamts für Steuern zu entwickeln.

Schnell hatten wir uns gemeinsam mit unserem Projektpartner, dem BMF, darauf geeinigt, dass sich die Lösung auf einfach gelagerte Sachverhalte beschränken wird. Dazu zählten Ein- und Zweifamilienhäuser, Eigentumswohnungen oder unbebaute Grundstücke. Der Online-Service sollte für die elf Bundesländer nutzbar sein, die bei der Grundsteuer das sogenannte Bundesmodell anwenden.

Doch auch die Landesfinanzverwaltungen dieser elf Bundesländer stellten teils unterschiedliche Informationen bereit, die beachtet werden mussten. So gab es Informationsschreiben, Datenstammblätter und länderspezifische Grundsteuer-Portale. Zusätzlich lagen einzelnen Eigentümer:innen unterschiedliche Unterlagen zu Ihrer Immobilie vor: Kaufverträge, Grundbuchauszüge, alte Grundsteuerbescheide, Einheitswertbescheide und mehr. Um zu verstehen, welche Hürden bei den Anwender:innen vorliegen, haben wir Tests durchgeführt. Bei diesen Usability-Tests beobachteten wir, wie einzelne Daten verstanden und in das Online-Formular übertragen wurden. Dabei konnten wir erkennen, welche Begriffe schwer verständlich waren und welche Daten in den bereitgestellten Unterlagen nicht auf Anhieb gefunden wurden.

Diese Erkenntnisse flossen in das Minimum Viable Product (MVP) ein. Das heißt, wir gingen zu Beginn des Abgabezeitraums im Juli 2022 mit einem Produkt mit einem zunächst minimalen Funktionsumfang live und nicht mit einem „fertigen Produkt“ mit allen erdenklichen Features. Was unser MVP direkt beinhaltete: eine sehr gute Benutzerfreundlichkeit sowie Sicherheit und Datenschutz auf höchstem Niveau. Der Anspruch war es, mit Beginn des Abgabezeitraums im Juli 2022 ein Produkt bereitzustellen, das von Anfang an bereits einen konkreten Mehrwert schafft, aber auch nach dem Launch immer weiter optimiert und ausgebaut wird – agil und iterativ.

Frederike aus dem Grundsteuer-Team sitzt im Büro an ihrem Laptop und entwickelt „Grundsteuererklärung für Privateigentum

Entwicklerin Frederike ist Teil des Teams von „Grundsteuer für Privateigentum”.

Bis zum letzten Tag weiterentwickelt

Diese erkenntnisgetriebene und nutzerzentrierte Herangehensweise behielten wir bis zum letzten Tag des Abgabezeitraums bei. Mit dem Start des Live-Betriebs zeigte sich schnell: Eine der wichtigsten Informationsquellen für die (Weiter-)Entwicklung unseres Services ist unser Support. Nutzer:innen machten uns auf Unklarheiten aufmerksam und durch die Anzahl der Supportanfragen zu bestimmten Themen konnten wir die kritischsten Themen direkt identifizieren. Erfolgreiche Iterationen – Weiterentwicklungen in kleinen Schritten – schlugen sich schließlich konkret durch weniger Anfragen im Support nieder.

Beispiele für Iterationen dieser Art waren:

Abgrenzung von Anmeldung und Registrierung

Die Registrierung und Anmeldung für „Grundsteuererklärung für Privateigentum“ erfolgte über sogenannte Magic Links. Nutzende hatten jedoch immer wieder Schwierigkeiten zu unterscheiden, ob sie sich neu registrieren oder bloß erneut anmelden müssen. Zur Verbesserung des Anmelde- und Registrierungsprozesses überarbeiteten wir die Fragestellungen und implementierten eine zusätzliche Überprüfung nach Eingabe der zur Anmeldung notwendigen E-Mail-Adresse, ob diese bereits für ein Konto genutzt wird.

Zwei Screenshots, die die Weiterentwicklung von „Grundsteuererklärung für Privateigentum

Bestätigung der Abgabe der Grundsteuererklärung

Nach Abgabe der Grundsteuererklärung stellten viele Nutzer:innen Supportanfragen, da sie eine Zusammenfassung ihrer Daten sowie eine schriftliche Bestätigung der Übermittlung an das Finanzamt nicht finden konnten. Eine Umstrukturierung des letzten Ansichtsfensters schaffte Abhilfe. Die Downloads der Grundsteuererklärung sowie des Transfertickets waren leichter auffindbar. Später schickten wir auch Bestätigungsmails.

Zwei Screenshots, die die Weiterentwicklung von „Grundsteuererklärung für Privateigentum

Neben diesen und zahlreichen weiteren – kleineren und größeren – Iterationen erweiterten wir auch stetig den Leistungsumfang von „Grundsteuererklärung für Privateigentum”. So bildeten wir beispielsweise im Laufe des Abgabezeitraums immer mehr Fälle von Miteigentum ab. Während wir zu Beginn mit Eigentumswohnungen nur einen Typ des Miteigentums abdeckten, waren es am Ende mit zum Beispiel geteilten Privatwegen, Tiefgaragen oder Parkplätzen nochmals deutlich mehr.

Unsere potenzielle Nutzergruppe vergrößerten wir außerdem durch zusätzliche Identifikationsmöglichkeiten. So richteten wir Mitte August 2022 eine Schnittstelle zu ELSTER ein, die es auch Nutzer:innen mit bereits bestehendem ELSTER-Konto ermöglichte, sich bei „Grundsteuererklärung für Privateigentum” anzumelden und zu identifizieren. Ende November 2022 ermöglichten wir die Identifikation mit der Beta-Version unserer BundesIdent App und der Online-Ausweisfunktion des elektronischen Personalausweises. Welche Learnings wir aus dieser Integration für die Weiterentwicklung des von uns gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) entwickelten Identifizierungsservices ziehen konnten, teilen wir in den nächsten Wochen in einem separaten Beitrag auf unserem Blog.

Eine Collage aus Medienberichten und User-Feedback, die „Grundsteuererklärung für Privateigentum

„Ein Lichtblick!“ – Das Resultat unserer Arbeit überzeugte nicht nur Nutzer:innen, sondern auch die Presse.

Ende der Abgabefrist - und wie es weiter geht

Die Frist zur Abgabe der Grundsteuererklärung endete zwar am 31.01.2023 - nicht aber die Pflicht für Immobilieneigentümer:innen, die Erklärung einzureichen. Unser kostenloser Online-Service steht demnach auch weiterhin Nutzer:innen zur Verfügung und wird noch einige Zeit von uns betrieben. Eine Weiterentwicklung der Funktionen erfolgt jedoch nicht mehr. Ein konkreter Termin für die Abschaltung wurde zum jetzigen Zeitpunkt, Mitte Februar 2023, noch nicht festgelegt.

In den kommenden Wochen werden wir in regelmäßigen Abständen überprüfen, wie viele Nutzer:innen unseren Service in Anspruch nehmen und in Abhängigkeit von der Nachfrage gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium eine Entscheidung treffen, wie lange der Service noch online bleibt.

Zahlen und Fakten

Ein abschließender Überblick über das Projekt „Grundsteuererklärung für Privateigentum“ in Zahlen und Fakten (Stand Mitte Februar 2023):

  • Mehr als 925.000 abgegebene Grundsteuererklärungen
  • Bundesland mit den meisten Abgaben: Nordrhein-Westfalen
  • Durchschnittlich 1,4 Erklärungen pro Eigentümer:in
  • Durchschnittliche Abgabezeit: 15-30 Minuten
  • Beliebtester Wochentag für die Abgabe: Sonntag
  • Besonders viele Nutzer:innen haben Mitte Oktober 2022 (ursprüngliches Fristende) und Mitte Januar 2023 (endgültiges Fristende) ihre Grundsteuererklärung abgeschickt
  • 45% der Nutzer:innen identifizierten sich per Brief mit einem Freischaltcode, 47% mit Hilfe ihres ELSTER-Zertifikats und 8% mit der Online-Ausweisfunktion ihres Personalausweises
  • 25 Usability Tests wurden in der vierzehnmonatigen Laufzeit des Projekts durchgeführt
  • Über 23.000 E-Mails von Nutzer:innen erreichten uns über den Support, durchschnittlich 110/Tag
  • Mehr als 2.500 Medienberichte über „Grundsteuererklärung für Privateigentum“, davon 99% neutral bis positiv
  • Das interdisziplinäre Team bestand am Ende aus 18 Personen: Vier Software-Entwickler:innen, zwei Designer:innen, zwei Produktmanager:innen und zwei Expert:innen aus dem Bundesministerium für Finanzen; weitere acht Personen bildeten das Support-Team.

GitHub Link zum Quellcode (Open Source)


Portrait Foto der Autorin Katja Anokhina

Katja Anokhina

ist Product Managerin beim DigitalService. Sie nahm 2021 am Tech4Germany Fellowship teil und war so vom Ansatz überzeugt, dass sie sich danach beim DigitalService beworben hat. Zuvor war sie im Bereich Bildung/ Digitalisierung u. a. als Product Ownerin tätig. Ihre große Leidenschaft ist Segeln.

Porträtfoto der Autorin Christin Glücks

Christin Glücks

ist UX/UI Designerin mit einem großen Herz für Nutzerbedürfnisse. Sie gestaltete schon vor dem DigitalService die digitale Landschaft der Ministerien und Behörden bei IBM iX. Sie möchte digitale Services für Bürger:innen entwickeln und vorantreiben, damit ihre beiden Kinder in deren Zukunft nicht mit großen Snackvorräten lange Zeit in türkisfarbenen Warteräumen von Bürgerämtern auf Stempel unter Anträgen warten müssen. Ein bisschen Zeit dafür hat sie noch.