Zum Inhaltsbereich wechseln
English

Ohne Projekte kein Fellowship: Bewerbungs- und Auswahl­prozess bei Tech4­Germany

Tech4Germany ist im Pilotjahr 2018 mit zwei Projekten gestartet. Seit diesem ersten Jahr haben wir Hunderte Projektbewerbungen gesichtet und jährlich zwischen sechs und acht Projekte ausgewählt. Die Art und Weise, wie wir Tech4Germany in den Bundesbehörden vorstellen und Projekte aussuchen, haben wir über fünf Jahre iteriert. Immer wieder erreichen uns Fragen von anderen Organisationen auf Landes- oder Kommunalebene, wie wir zu unseren Projekten kommen. Die Evolution dieses Prozesses stellen wir hiermit transparent zur Verfügung.

Tech4Germany wurde 2018 gegründet, um Talenten und Expert:innen aus den Bereichen Software-Entwicklung, Design und Product Management eine Möglichkeit zu geben, sich für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung einzusetzen und gleichzeitig in der Bundesverwaltung erfahrbar zu machen, wie agile und nutzerzentrierte Software-Entwicklung zu besseren digitalen Lösungen führen kann. Mitgründerin Sonja Anton beschreibt den Werdegang ausführlich in diesem Artikel.

Während der Pilotphase von Tech4Germany 2018 und 2019 gab es keinen strukturierten Bewerbungs- und Auswahlprozess. Im ersten Jahr war das ITZBund bereit, dem damals noch unbekannten Konzept »Tech4Germany Fellowship« relativ spontan mit zwei bestehenden Projekten eine Chance zu geben (Danke für den Vertrauensvorschuss und Mut, liebes ITZBund!). Der Kontakt entstand über unseren damaligen Schirmherrn Bundeskanzleramtschef Prof. Dr. Helge Braun a.D. Durch die erfolgreiche Arbeit und die daraus resultierende Öffentlichkeit wurden im Laufe des ersten Jahrgangs weitere Ministerien auf uns aufmerksam und bekundeten Interesse an einer Teilnahme. So starteten wir das zweite Jahr Tech4Germany mit insgesamt sechs Projekten aus dem ITZBund, dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Transparenz, Standards und Unabhängigkeit

Projektauswahlkriterien

Nachdem wir bewiesen hatten, dass Tech4Germany skalieren kann, stand im Jahr 2020 die Professionalisierung im Fokus. Gleichzeitig übernahm die BAMF als nachgelagerte Behörde des Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) die Finanzierung, sodass zum ersten Mal öffentliche Gelder eingesetzt wurden. Diesen Entwicklungen wollten wir Rechnung tragen und entwickelten Kriterien und einen Prozess für die Projektauswahl. Dadurch wollten wir mehr Transparenz schaffen, die Projekte systematischer auf Nachhaltigkeit und Wirkung überprüfen und unsere Unabhängigkeit unter Beweis stellen.

Die Auswahlkriterien bestehen bis heute aus drei Kernkriterien.

Wirkung beschreibt dabei die Reichweite des Projekts in verschiedene Zielgruppen; die Wertsteigerung, die durch eine Bearbeitung des Projekts für die Zielgruppe entstehen kann sowie (seit 2022 explizit) die mögliche Duplizierbarkeit der Projektergebnisse für andere Anwendungsfälle oder Behörden.

Umsetzbarkeit beinhaltet die politische Priorität und Unterstützung innerhalb der Projektbehörde, die Komplexität der Herausforderung sowie die Verfügbarkeit von Ressourcen für eine mögliche Weiterführung der Programmergebnisse.

Offenheit beschreibt den ergebnisoffenen Gestaltungsspielraum, die Transparenz und Weiterverwendung der Projektergebnisse und schließlich die Offenheit und Einsatzbereitschaft der Projektpartner:innen selbst.

Quantität und Qualität der Projektauswahl

Nachdem wir 2019 von 8 auf 28 Fellows skaliert haben, wollten wir 2020 sicherstellen, dass wir auch in der Projektakquise in Quantität der Bewerbungen und damit Qualität der angenommenen Projekte gleichziehen können.

Um die Bewerbungsanzahl zu erhöhen stellten wir Tech4Germany 2020 in vielen Behörden und Ministerien persönlich vor. Die Termine kamen über verwaltungsinterne Unterstützer:innen, ehemalige Projektpartner:innen oder Direktanschreiben zustande. Im Zuge dieser umfangreichen „Roadshow” besprachen und dokumentierten wir über 85 Projektideen aus 14 Ministerien und sieben Behörden. Diese galt es in Bewerbungen umzuwandeln. Hierzu entwickelten wir auf Grundlage unserer Auswahlkriterien unsere erste Version eines Projektbewerbungsformulars. Wir erhielten eine Gesamtanzahl von 67 Projektbewerbungen.

Im zweiten Schritt setzten wir 2020 erstmals eine Jury aus Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung ein, die in einer halbtägigen Sitzung auf Grundlage unserer Auswahlkriterien acht Projekte für die Teilnahme an Tech4Germany auswählte.

Das Bild ist ein Screenshot des Jurytreffens 2020. Insgesamt sind 10 Teilnehmde zu sehen, die teils persönlich, teils digital teilnehmen. Auf dem Screen sind die Auswahlkriterien von Tech4Germany zu sehen.
Das Jurytreffen 2021 hat digital stattgefunden. Die Jurymitglieder sind daher einzeln zu sehen in ihren jeweiligen Zoom-Fenstern. Das Bild ist nach Abschluss der Auswahl entstanden. Alle lachen und schnippen zustimmend mit den Fingern.

Year of Learning: Bewerbungsflaute aushalten und daraus lernen

Corona und Legislaturwechsel

Nachdem wir 2020 Glück hatten und unsere Roadshow noch vor dem Beginn der Corona Pandemie beendet hatten, waren 2021 persönliche Vorstellungen auf Grund der pandemischen Lage für alle Seiten völlig undenkbar. Stattdessen baten wir ehemalige Teilnehmende und Unterstützer:innen unseren Bewerbungsaufruf via E-Mail weiterzuleiten und versuchten es via Direktansprachen. Das Ergebnis: nur dreizehn Projektbewerbungen. Um die Anzahl zu erhöhen versuchten wir eigenständig geeignete Projekte und dafür verantwortliche Einheiten zu identifizieren und diese zu einer Teilnahme zu bewegen. Mit verhaltenem Erfolg: Entweder konnten wir die Zuständigen nicht identifizieren oder nicht von der Zusammenarbeit überzeugen. Zusätzlich kam erschwerend hinzu, dass Tech4Germany genau in die Monate vor dem Legislaturwechsel fiel; Projekte in den Ministerien jedoch entweder vor der neuen Legislatur abgeschlossen oder nicht mehr begonnen werden sollten.

Neue Projektbewerbung, neues Glück?

2021 überarbeiteten wir unser Projektbewerbungsformular in einer neuen Version. In den Vorjahren kam es teilweise zu Missverständnissen über die Rolle und Art der Zusammenarbeit mit den Fellows. Die Fellows wurden in Einzelfällen als Umsetzungsdienstleister statt als Unterstützung und Partner:innen auf Augenhöhe verstanden. Zudem bemerkten wir, dass einige Projektpartner:innen mit festen Lösungsideen zu uns kamen, statt sich ergebnisoffen auf den Prozess einzulassen. In der Iteration des Bewerbungsformulars versuchten wir also stärker eine Formulierung des Problemraums zu fordern, als auf eine mögliche Lösungsbeschreibung abzuzielen.

Eine der wichtigen Erkenntnisse aus den Vorjahren war, dass die Ergebnisse umso nachhaltiger weitergeführt werden, desto höher Zeiteinsatz, Offenheit und Lernbereitschaft der Projektpartner:innen während des Fellowships sind. Die größten Änderungen im Bewerbungsformular waren dementsprechend die zusätzliche Frage „Was erhoffen Sie sich von der Teilnahme für Ihr Projekt?“ sowie der zusätzliche Abschnitt „Persönliche Bewerbung“ in dem die Projektpartner:innen ihre individuelle Motivation und Erwartungen an die Teilnahme an Tech4Germany beschreiben sollten.

Neben der geringen Anzahl an Projektbewerbungen, stellten allerdings auch die eingereichten Projekte eine Herausforderung dar. Die Änderungen im Bewerbungsformular führten nicht zu den erhofften Veränderungen. Insbesondere die Projektbeschreibungen waren stattdessen teils unvollständig, missverständlich oder weiterhin stark lösungs- und technologieorientiert. Wir wendeten in der Folge viele Zeitressourcen auf, um mit den Verantwortlichen aller eingereichten Projekte individuelle Nachgespräche und Schärfungsworkshops durchzuführen.

Wie bereits im Vorjahr, ließen wir schließlich eine Vorauswahl – dieses Mal aus lediglich acht Projekten – durch eine externe Jury bewerten, die sich erneut aus Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung zusammensetzte. Die Jury wählte nur sieben Projekte aus, womit in diesem Jahr ein Projekt unbesetzt blieb. Insgesamt ist es damit bei sechs der dreizehn Bewerbungen trotz zeitintensiver Auseinandersetzung nicht gelungen, die Projekte gemeinsam mit den Verantwortlichen so aufzusetzen, dass sie unsere Auswahlkriterien für eine erfolgreiche und nachhaltige Projektarbeit erfüllten.

2022: neues Jahr, neue Legislatur, neue Iteration

Die Fragen aus den Gesprächen und Erfahrungen aus den Schärfungsworkshops 2021 nutzen wir 2022 als Grundlage für die Weiterentwicklung des Bewerbungsformulars. In den Änderungen zielen wir auf die Stärkung lösungs- und technologieoffener Projekte ab. So sprechen wir in dem Bewerbungsformular beispielsweise nicht mehr von „Zielsetzung“ sondern von „Wünschenswerter Wirkung“ und erfragen so, welche Veränderung den Projekterfolg belegen und wann die einreichende Behörde das Projekt als Misserfolg betrachten würde.

Zusätzlich möchten wir das Projekt und die einhergehenden Herausforderungen nicht mehr aus der Perspektive abstrakter und oft missverständlicher „Stakeholder“ verstehen, sondern aus den konkreten Perspektiven „betroffener und verantwortlicher Beteiligter“. Die „Persönliche Bewerbung“ am Ende des Formulars ist nun eine „Teambewerbung“ mit Auflistung der Eigenschaften und Motivationen, die wir von den Projektpartner:innen erwarten sowie die Einverständniserklärung der individuellen Teilnehmenden über den notwendigen Zeiteinsatz zur Zusammenarbeit mit uns. Alle weiteren Änderungen, Fragen und Beschreibungen können in der aktuellen Version des Bewerbungsformulars nachvollzogen werden.

Um sicherzustellen, dass wir für 2022 wieder mehr Projektbewerbungen erhalten würden und um eine gute Auswahl treffen zu können, passten wir auch unsere Kommunikationsstrategie an:

  • Wir sendeten all unseren ehemaligen Teilnehmenden, Unterstützer:innen und Interessierten, die sich unterjährig in einem Online-Formular registriert haben, in den Bundesbehörden Projektaufrufe per E-Mail zu, in denen wir unser Angebot und Kerndaten kommunizierten.
  • Weil Corona unsere Vorstellung vor Ort weiterhin unmöglich machte, veranstalteten wir stattdessen drei virtuelle Infoveranstaltungen, in denen wir Tech4Germany und Work4Germany gemeinsam vorstellten und Fragen der Teilnehmenden beantworteten. An den Infoveranstaltungen nahmen insgesamt 65 Personen teil.
  • Wir boten Vorgespräche an, um erste Projektideen und unseren Bewerbungsprozess zu besprechen, bevor viel Zeit in Ausfüllen und Bewertung der Projektbewerbung fließt. Dieses Angebot nahmen insgesamt 25 Ministerial- und Behördeneinheiten wahr.

So erhielten wir für 2022 insgesamt 25 inhaltlich sehr starke Projektbewerbungen. Davon stammten 13 aus Vorgesprächen, von denen wiederumdrei unter den teilnehmenden acht Projekten sind. Das bedeutet für uns drei Dinge:

  1. Unsere Iterationen erfolgreich, denn die Qualität der Bewerbungen war sehr hoch; es gab es kaum Projekte, die überhaupt nicht unseren Kriterien entsprachen.
  2. Die Vorgespräche helfen unpassende Bewerbungen zu vermeiden (12 der Vorgespräche führten zu keiner Bewerbung).
  3. Das Projektbewerbungsformular funktioniert mittlerweile eigenständig und macht insbesondere Nachgespräche sowie Schärfungsworkshops überflüssig (12 Projektbewerbungen kamen ohne Vorgespräch zustande, von denen fünf unter den teilnehmenden acht Projekten sind).

Auch den Auswahlprozess passten wir dieses Jahr an. Unser Ziel war es, in dem neuen Prozess noch stärker auf eine umsetzbare und nachhaltige Projektauswahl zu achten. Dazu luden wir Ansprechpersonen des BMI für die IT des Bundes und die Dienstekonsolidierung sowie des ITZBund für Projekte, Basisdienste und Querschnittsverfahren zur gemeinsamen Vorauswahl der Projekte ein, um mit ihren Kompetenzen die Anschlussfähigkeit und Umsetzbarkeit der Projekte in der Verwaltungsumgebung zu überprüfen und zu bewerten. Die finale Auswahl der acht teilnehmenden Projekte trafen wir in diesem Jahr nicht mehr durch eine externe Jury sondern mit Hilfe der Expertisen unserer Kolleg:innen. Mit den Leitungen des Produktmanagement, Design, Engineering und Growth des DigitalService sowie der Kommunikationsleitung der Fellowships nahmen wir einen mehrstufigen Bewertungsprozess vor. Die Änderung des Auswahlprozesses war insbesondere durch unser Ziel geprägt, Projekte auszuwählen, die so nachhaltig wie möglich sind. Das heißt: die besonders relevant und anschlussfähig sind.

Mit dem Koalitionsvertrag im Rücken sind wir alle neugierig, was wir in unseren spannenden acht Projekten erreichen werden. Alle Projekte für 2022 findet Ihr hier. Alle Projektergebnisse in unserem Projektarchiv. Sie können sich vorstellen, selbst mit einem Vorhaben an Tech4Germany teilzunehmen? Dann merken Sie sich hier vor. Ihr habt Ideen, Fragen oder Anregungen zu unserem Auswahlprozess? Schreibt uns gerne unter hallo@tech4germany.org.


Portrait Foto des Autors Joshua Pacheco

Joshua Pacheco

leitete das Fellowship-Programm Tech4Germany, an dem er bereits 2019 selbst teilnahm. Zuvor verantwortete er im CityLAB Berlin die Zusammenarbeit mit der Landes- und Kommunalverwaltung sowie die Veröffentlichung des Methodenhandbuchs „Öffentliches Gestalten“. Joshua verfolgt seit seiner Jugend die Preisentwicklung in Berlins Gastronomie mit einer Umrechnung in Döner (Stand: 2.50 DM).


Mehr zum Thema lesen