Auf eine (letzte) Tasse Kaffee mit … Philipp, Geschäftsführer beim DigitalService
Seit der Gründung des DigitalService als zentrale Digitalisierungseinheit des Bundes im Oktober 2020 war Philipp als Chief Operating Officer (COO) für den Aufbau des Produktbereichs verantwortlich. Durch seine jahrelange Erfahrung in erfolgreichen Digital-Start-ups hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass der DigitalService schnell – und nachhaltig – wachsen konnte. Nun zieht sich Philipp aus der Geschäftsführung zurück. An seinem letzten Arbeitstag hat er sich die Zeit genommen, noch einmal gemeinsam mit uns zurückzublicken.
Beim DigitalService hat man die Möglichkeit, an Themen zu arbeiten, die das Zeug haben, eine sehr große positive Wirkung in der Gesellschaft zu entfalten – echten Impact zu erzeugen. Das ist ziemlich einzigartig.
Unsere Organisation hat in den letzten zweieinhalb Jahren eine enorme Entwicklung hingelegt. Wie kam es zu der Entscheidung, den DigitalService zu verlassen?
Vor zweieinhalb Jahren bin ich mit einer klaren Mission angetreten: die Produkteinheit des DigitalService quasi von Null an aufzubauen – so, wie ich es in den Jahren davor auch in anderen Start-ups gemacht hatte. Mich hat übrigens selbst überrascht, wie gut das geklappt hat. Mehr als 130 Menschen arbeiten mittlerweile mit uns daran, unseren Staat digitaler zu machen. Meine persönliche Mission ist also abgeschlossen. Die Produkteinheit steht, und die Teams arbeiten erfolgreich.
Gleichzeitig sind wir in nahezu allen unseren Projekten immer wieder auf dieselben Herausforderungen gestoßen: strukturelle Hürden und Rahmenbedingungen, die unsere eigene Projektarbeit erschweren. Die aber auch die Verwaltungsdigitalisierung insgesamt bremsen.
Diese zu verändern, wird eine ganz zentrale Aufgabe der kommenden Jahre. Dafür braucht es aber transformatorisches Know-how und auch eine veränderte Schwerpunktsetzung innerhalb der Geschäftsführung. Dazu kann ich persönlich relativ wenig beitragen – und ich sehe mich auch nicht darin. Mit dieser Erkenntnis reifte dann auch Ende letzten Jahres die Entscheidung, die Geschäftsführung des DigitalService für die Zukunft neu aufzustellen.
Du kommst ja eigentlich aus der Privatwirtschaft: Du warst bei Rocket Internet, bei Wooga und hast erfolgreiche Start-up-Gründungen erlebt. Was war denn beim DigitalService anders?
(Lacht!) Irgendwie alles. Bei Wooga zum Beispiel haben wir extrem viel nach dem Trial-and Error-Prinzip gearbeitet. Wir haben etwas gebaut und im Anschluss geschaut, ob es funktioniert – oder eben nicht. Da gab es nur uns und die User.
Auch beim DigitalService arbeiten wir nutzerzentriert, erkenntnisgetrieben und iterativ. Im Zusammenspiel mit der Verwaltung ist das aber oft eine Herausforderung. Viele Projektpartner:innen kommen aus einer Tradition von Werkverträgen und Lastenheften und erwarten, dass man zu Projektstart schon genau weiß, wie die Lösung aussieht. Wir müssen also immer wieder dafür werben, wirklich agil arbeiten zu können. Uns Schritt für Schritt vorantasten zu dürfen.
Dafür ist der Lohn für diese Überzeugungsarbeit riesig. Wir haben hier die Chance, durch gut gemachte digitale Verwaltungsdienste das Leben von Millionen von Menschen zu erleichtern. Dieser mögliche Impact treibt hier alle an und sorgt für ein ganz besonderes Miteinander.
Das klingt schon sehr anders und fast so, als hättest Du, trotz Deiner langjährigen Erfahrung, durchaus noch dazulernen können – und vielleicht auch müssen?
Das stimmt auch. Die Lernkurve war echt steil. Beim DigitalService habe ich zum ersten Mal in einem Kontext gearbeitet, in dem es neben den Usern auch noch einen weiteren Player gibt: einen Auftraggeber. Bei Rocket Internet und Wooga war das ganz anders. Dort haben wir klassische Consumer-Produkte entwickelt, die direkt vertrieben wurden. Bei Wooga waren es Handy-Spiele. Das heißt, wir konnten ganz einfach messen: Wie erfolgreich ist ein Spiel? Wie viele Menschen wollen es spielen? Wie viele Leute spielen drei Tage oder einen Monat später immer noch? Und wie viel Umsatz generieren wir damit? Das war im Endeffekt das, was für uns Erfolg definiert hat.
Das ist beim DigitalService völlig anders. Es gibt immer auch einen Auftraggeber. Einer davon ist das Bundesfinanzministerium (BMF), für das wir bislang zwei Produkte entwickelt haben: den Steuerlotsen für Rente und Pension und unsere Lösung für die Grundsteuererklärung. In beiden Fällen wurden wir also vom BMF beauftragt, ein Produkt zu bauen, mit dem Menschen ihre Steuererklärung abgeben können. Am Ende messen wir den Erfolg an beiden Stakeholdern: bei den Usern und deren Zufriedenheit, und eben auch beim Auftraggeber, der es bezahlt hat.
Dieses Arbeiten „über Bande“ und mit so verschiedenen Stakeholdern war für mich etwas völlig Neues. Ich habe unglaublich viel darüber gelernt, wie komplex es ist, in so einer Konstellation erfolgreich und nutzerzentriert Software zu entwickeln. Und wie eine Organisation aufgestellt sein muss, um das zu schaffen.
Stichwort Software-Projekte: Gibt es ein Lieblingsprojekt?
Ein echtes Lieblingsprojekt habe ich nicht. Aber ich gebe zu: Zu meinen ersten Projekten habe ich eine besonders enge Bindung. Da habe ich noch selbst operativ mitgearbeitet und sie mit an den Start gebracht. Ebenfalls stark in Erinnerung bleiben wird mir unser Grundsteuerprojekt, mit dem wir innerhalb weniger Monate knapp eine Million Nutzende erreicht und zu dem wir wahnsinnig viel gutes Feedback erhalten haben. Das war schon toll.
Was mir immer noch sehr am Herzen liegt, ist NeuRIS. Diese Idee, alle Rechtsinformationen des Bundes auf eine zentrale Plattform zu bringen, von der aus sie maschinenlesbar, nutzerfreundlich und kostenlos einfach allen zur Verfügung stehen, die mit ihnen arbeiten möchten. Open Data, so wie ich mir das vorstelle.
Kannst Du sagen, was Du Dir völlig anders vorgestellt hast? Oder welche Erwartungen sich nicht erfüllt haben?
Wir haben uns sehr gefreut, dass es die Themen „Verwaltungsdigitalisierung“ und „ein moderner Staat“ so prominent in den Koalitionsvertrag von 2021 geschafft haben. Das hat uns echt Schwung gegeben! Heute habe ich jedoch den Eindruck, dass diese Ziele zunehmend aus dem Fokus der Regierung geraten sind.
Natürlich hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine alles verändert. Die Politik steht heute Herausforderungen gegenüber, die wenige Monate zuvor niemand ahnen konnte. Dennoch dürfen die Zukunftsthemen rund um einen digitalen Staat nicht weiter verdrängt werden. Wir hinken international ja ohnehin schon hinterher. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Digitalisierung wieder einen größeren Stellenwert nicht nur in der politischen Debatte bekommt, sondern auch im Verwaltungsalltag. Konkret hoffe ich, dass wir in großem Stil in die Umsetzung kommen.
Gibt es auch etwas, was Dich so richtig positiv überrascht hat?
Der Veränderungswille bei vielen Menschen innerhalb der Verwaltung und ihre große Motivation, Dinge voranzutreiben.
Bevor ich zum DigitalService kam, hatte ich recht wenige Berührungspunkte mit der Verwaltung. Eigentlich nur als Bürger. Auch das eine oder andere Vorurteil war mir nicht ganz fremd.
Die haben sich so gar nicht bestätigt. Fast alle Verwaltungsmitarbeitenden, mit denen ich in den letzten zweieinhalb Jahren zu tun hatte, sind wirklich motiviert, arbeiten viel und intensiv und hängen sich in ihre Themen rein.
Dass trotzdem vieles so lange dauert und die Verwaltung sich schwertut mit Veränderungen, liegt an den bestehenden Prozessen und Strukturen. Die bilden oft einen recht starren Rahmen mit wenig Spielraum für neue Formen des Zusammenarbeitens.
Genau da wollen wir als DigitalService ansetzen, indem wir Transformationsmanagement als zusätzliche Disziplin in unsere Projektteams integrieren und so den nötigen Veränderungen der Rahmenbedingungen insgesamt mehr Raum geben.
Wir wissen ja, dass Du nicht so gerne über Dich selbst redest. Aber gibt es etwas, auf das Du so richtig stolz bist?
Ganz klar: das DigitalService Team! Wir haben in kurzer Zeit eine wirklich gute und fähige Software-Entwicklungseinheit aufgebaut – mit Leuten, die unfassbar motiviert sind und wirklich Lust haben, in diesem komplexen Rahmen Produkte zu bauen. Trotz aller Herausforderungen. Darauf können wir als ganze Organisation wirklich, wirklich stolz sein!
Zumal uns am Anfang so viel Skepsis entgegenschlagen ist. „Was Ihr da machen wollt, funktioniert nicht in der Verwaltung“, „Ihr findet keine Leute“, „Das schafft Ihr nie“. Tatsächlich war es unsere größte Sorge, dass wir den Teamaufbau nicht hinbekommen würden. Dass das so gut geklappt hat, macht mich glücklich – und wiederum auch stolz.
Das klingt so, als würdest Du die Kolleg:innen jetzt schon vermissen …?
Das ist auch so. Aber ich glaube auch, dass mir dieser besondere Kontext fehlen wird. Beim DigitalService hat man die Möglichkeit, an Themen zu arbeiten, die das Zeug haben, eine sehr große positive Wirkung in der Gesellschaft zu entfalten – echten Impact zu erzeugen. Das ist ziemlich einzigartig.
Möchtest Du dem Team noch was mit auf den Weg geben?
Vergesst nie: Die Digitalisierung der Verwaltung ist eine Generationen- und vielleicht für manche sogar eine Lebensaufgabe. Cyd Harrell (Autorin und einer der führenden Köpfe der internationalen Civic Design Community, Anmerkung der Redaktion) hat einmal sinngemäß gesagt, dass wir nur diese eine Verwaltung haben, und es ist ein relativ steiniger, ja langwieriger Weg, zu einem Erfolg zu kommen. Aber es ist notwendig, ihn zu gehen.
Und das stimmt einfach. Außerdem glaube ich fest daran, dass es für eine langfristige Stabilität unserer Demokratie und unserer Gesellschaft enorm wichtig ist, dass die Verwaltung so funktioniert, wie die Bürger:innen es von ihr erwarten. Nur so schaffen wir es, dass die Menschen in unserem Land wieder Vertrauen in die Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen gewinnen.
Um nichts weniger geht es. Natürlich ist das anstrengend, da brauchen wir nicht darüber zu reden. Aber es ist eben genauso notwendig. Und auch wenn viele Erfolge erstmal kleine Erfolge sind: Sie sind es wert, dass man am Thema dranbleibt.
Ich denke, das mit der Generationenaufgabe können viele nachvollziehen. Wir sind jetzt aber natürlich auch neugierig: Wie geht es für Dich persönlich weiter? In einem vorigen Interview hast Du gesagt, Du wärst gerne Astronaut!
Ja, ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Aber jetzt freue ich mich erst einmal auf eine ganz andere, sehr bodenständige Herausforderung: Ab Juli bin ich nämlich in Elternzeit. Alles Weitere lasse ich auf mich zukommen.